Roemisches Roulette
Straße. Erst drei Blocks weiter blieb ich stehen, krümmte mich und rang nach Luft. Als ich mich erholt hatte, ging ich durch die benachbarten Straßen und drehte mich ständig um, immerzu in Erwartung, sie hinter mir zu erspähen.
Eine Stunde später kehrte ich zum Bungalow zurück. Ich fragte die Umzugshelfer, ob sie eine rothaarige Frau gesehen hätten. Sie verneinten. Ich bat einen der Männer, mit mir die Zimmer abzusuchen. Keine Spur von ihr. Es schien, als wäre Kit wie ein Geist ins Haus geschwebt und ebenso unbemerkt wieder verschwunden. Und das Gemälde hatte sie mitgenommen.
Die Erinnerung an Kit, wie sie im Schneidersitz in meinem Keller saß, befleckte das Haus in der Bloomingdale Avenue. Jetzt konnte ich nicht mehr an diesen Ort denken, ohne dabei gleichzeitig an sie zu denken.
Doch immerhin war ich nach diesem Erlebnis imstande, die Tür ein letztes Mal ohne Tränen in den Augen oder ein schlechtes Gewissen zu verschließen. Nun freute ich mich auf die Wohnung am Lake Shore Drive wie nie zuvor.
Nick und ich strichen unser neues Wohnzimmer in einem ruhigen Hellgrau. Wir wollten durch nichts vom Blick auf den Michigansee ablenken, der manchmal tiefblau war wie das Karibische Meer und auf dem an anderen Tagen wilde Schaumkronen tanzten. Für unser Schlafzimmer hatten wir uns ein neues Himmelbett sowie eine Chaiselongue und einen runden Glastisch für die Sitzecke angeschafft. Die durch die Edelstahl-Einrichtung ohnehin schon pompöse Küche ergänzten wir lediglich durch unser Geschirr und die Vasen, die sich über Jahre des gemeinsamen Wohnens angesammelt hatten.
Nach und nach mauserte sich die Wohnung zu einem urbanen Vorzeige-Appartement. Genauso wie Nick es sich erträumt hatte. Sobald das Mobiliar fürs Esszimmer stand, wollte Nick eine große Dinnerparty für zehn Ausschussmitglieder geben. Halb im Scherz schlug ich vor, eine “LSD-Party” zu schmeißen. Immerhin nannten viele Leute den Lake Shore Drive kurz LSD. Die Gäste könnten sich verrückte Klamotten anziehen und wir würden Jimi-Hendrix-Platten spielen. Nick sah mich verunsichert an und sagte, er denke eher an eine Einladung, die verkündete: “Begrüßt mit uns den Michigansee …” Er wollte den Tisch ans Fenster rücken, ihn blau eindecken und fangfrischen Dorsch aus dem See servieren.
Da der Ausschuss Nicks Revier war, zuckte ich nur mit den Achseln und schlug mir die Vorstellung von einer Rachel mit überdimensionaler Elton-John-Sonnenbrille und Plateauschuhen aus dem Kopf.
Ich war nicht so verliebt in unser neues Zuhause wie Nick, aber ich musste zugeben, dass ich mit wohl fühlte. Das Sicherheitssystem trug dazu einen entscheidenden Teil bei. Ich liebte das
Piep, Piep, Piep
, das stets ertönte, wenn jemand zur Tür hereinkam. Ich mochte, wie sich die Tasten unter meinen Fingerkuppen anfühlten, wenn ich den Code eingab, um das System scharfzuschalten. Ich liebte das Gefühl von Sicherheit, das mir die Alarmanlage in der Nacht vermittelte. Sobald irgendjemand bei aktiviertem Alarm die Tür aufschloss und unser Appartement betrat, würde eine Serie kurzer Signale erklingen. Wenn der richtige Code nicht innerhalb von genau fünfundvierzig Sekunden eingegeben würde, gäbe das System ein durchdringendes Kreischen von sich, das todsicher den Wachmann, die Nachbarn und schließlich die Polizei alarmierte.
Wir bekamen eine neue Telefonnummer und ich sorgte dafür, dass sie in keinem Telefonverzeichnis auftauchte. Ich unterließ es, Karten mit unserer neuen Anschrift zu verschicken, was von meiner in sozialen Angelegenheiten stets korrekten Mutter mit einem geringschätzigen Zungenschnalzen quittiert wurde. Ich behauptete, mit der Arbeit und dem Umzug einfach zu beschäftigt zu sein. Von Kit konnte ich ihr nicht erzählen. Darüber konnte ich mit niemandem sprechen.
Ich hob das kümmerliche Guthaben von meinem einst so prall gefüllten Sparkonto ab und löste es auf. Den gesamten Betrag zahlte ich auf unser gemeinsames Konto ein. So konnte ich wenigstens ein bisschen zu der einzigen Sache beitragen, die mich in diesen Tagen noch glücklich machte – meiner Ehe.
Immer noch blickte ich oft über die Schulter – so weit hatte Kit mich also gebracht –, doch ich fing wieder an normal zu atmen. In unseren gut gesicherten vier Wänden musste ich nicht mehr verängstigt schlafen gehen.
Piep, piep, piep
, machte die Alarmanlage. “Liebling, ich bin zu Hause!”, rief Nick in scherzhaftem Ton, als er die Tür öffnete.
“Hi
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