Roemisches Roulette
verdient.”
“Tse”, machte Kit und schüttelte den Kopf. “Rachel, du kannst vielleicht naiv sein. Einigen Menschen gönnt man es einfach, dass sie alles verlieren.”
Während ich nun alleine in dem Café saß und auf Nick wartete, fragte ich mich, warum Kit entschieden hatte, dass ich mein Leben nicht mehr verdiente. Womit hatte ich ihren Zorn auf mich gezogen? Ich versuchte ein guter Mensch zu sein und auf meinem Weg durchs Leben niemanden zu verletzen. Ich versuchte glücklich zu sein und meinen Ehemann glücklich zu machen. Beging ich damit irgendeine Sünde, auf die Kit mich aufmerksam machen wollte? Oder war sie tatsächlich etwas wirr im Kopf? Hatten die Krankheit ihrer Mutter und der berufliche Misserfolg bei ihr eine Psychose ausgelöst? Oder, und das war noch unheimlicher, kamen all diese Dinge zusammen?
Als Nick etwa anderthalb Stunden später eintraf, war ich noch immer bis ins Mark erschüttert. Er betrat das Café, winkte und kam auf meinen Tisch zu. “He Goldmädchen.” Er gab mir einen Kuss und setzte sich dann. “Wie geht es dir?”
“Ich möchte die Wohnung am Lake Shore Drive kaufen”, sagte ich ohne zu zögern. “Ich möchte umziehen.”
11. KAPITEL
I n den kommenden Wochen fiel ich in ein Loch. Das machte sich auch bei meiner Arbeit bemerkbar, und mein Chef Laurence wurde nicht müde, mich mehrmals am Tag darauf hinzuweisen.
“Wie sind Ihre Zahlen?”, fragte er stets. Dabei lehnte er sich immer gegen meinen Türrahmen und bedachte mich mit seiner einmaligen Ich-bin-enttäuscht-von-Ihnen-Miene.
Doch niemand war enttäuschter von mir als ich selbst. Und ich brauchte keinen Laurence, der den Big Boss spielte.
“Sie haben doch Zugang zum Firmencomputer, oder?”, erwiderte ich eines Tages. “Ich denke, Sie wissen genau, wie meinen Zahlen sind. Warum also fragen Sie mich ständig?”
Ich rechnete mit einer seiner typischen sarkastischen Antworten, doch er lächelte nur milde. “Ehrlich, Blakely, ich wollte nur wissen, ob Sie Hilfe brauchen.”
Seine Worte klangen aufrichtig, und ich fühlte mich noch schlechter. “Tut mir leid. Ich habe zurzeit einige private Probleme.”
Das war die Wahrheit. Zwar hatte ich Kit während der letzten Wochen nicht mehr gesehen. Doch ich meinte die ganze Zeit, sie in meiner Nähe zu spüren. Immerzu hatte ich das Gefühl, verfolgt und beobachtet zu werden. Also lenkte ich mich mit der Vielzahl von Aufgaben ab, die der Verkauf der alten und Kauf einer neuen Immobilie inklusive aller Umzugsvorbereitungen mit sich brachten. Da die Eigentümer der Wohnung am Lake Shore Drive bereits nach Scottsdale gezogen waren, wollten sie den Vertrag möglichst schnell abschließen. Wir durchliefen eine kurze Angebotsphase, in der uns die Banken versicherten, wir könnten das Geschäft in zweieinhalb Wochen, also bis Anfang November, über die Bühne bringen. Dieser zügige Verlauf kam mir sehr entgegen. Obwohl mir alles über den Kopf wuchs, konnte ich unmöglich länger als nötig in unserem geliebten Bungalow bleiben. Er erinnerte mich ständig an das, was ich jetzt schon zu vermissen begann – einen sicheren, behaglichen Hafen, den ich auf absehbare Zeit nicht hatte verlassen wollen.
Deshalb sortierte ich aus, putzte und organisierte. Ich zerlegte unser altes Leben. Mit jedem einst soliden Pfeiler meines Lebens brach auch ein Stückchen meines Selbst zusammen. Unser Haus in der Bloomingdale Avenue war verkauft. Meine Eltern lebten anderswo ihr eigenes Leben. Und in meinem Job kriselte es. Und Kit oder die Kit, die ich zu kennen glaubte? Von der Bildfläche verschwunden.
Die Sache mit Kit traf mich am tiefsten. Wie hatte es nur so weit mit uns kommen können? Ich dachte an Kits Worte an dem Abend, als ich sie in unserem Badezimmer vorgefunden hatte:
Ach Rachel. Das hast du dir alles selbst zuzuschreiben.
Hatte sie recht? Wieder fragte ich mich, was ich verbrochen hatte. Was löste nur all diesen Zorn und Hass in ihr aus? Es konnte nicht nur die Nacht mit Roberto gewesen sein. War es die Tatsache, dass ich, zumindest bisher, ein leichteres Leben geführt hatte als sie? Doch selbst wenn das stimmte, so war mir doch stets bewusst gewesen, dass die Tragödie hinter jeder Ecke lauern könnte. Meine Eltern könnten erkranken, Nick könnte einen Autounfall haben, ich würde vielleicht niemals schwanger werden. Oder noch viel Schlimmeres. Ich hatte schon immer gewusst, dass auch mir Schreckliches widerfahren könnte. Und Kit hatte mit ihrem Verhalten den
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