Roemisches Roulette
Schatten dieses Bewusstseins zu meinem ständigen unheimlichen Begleiter gemacht.
“Bitte seien Sie vorsichtig damit”, bat ich die Möbelpacker.
“Klar, Mrs. Blakely. Kein Problem. Wir sind hier eh fast fertig.”
Ich beobachtete, wie die beiden stämmigen Männer das massive Regal mit den Buntglastüren anhoben. Sie trugen den Kasten durch das Haus und dann die Vordertreppe hinunter, als wöge er nicht mehr als ihre Lunchbox. Alles verlief reibungslos. Zu reibungslos. Wie konnte es angehen, dass wir ganz ohne Zwischenfälle einfach unser Traumhaus verließen? Abergläubisch wartete ich immerfort auf ein Unglück. Selbst einen Tornado oder einen Schwarm Heuschrecken schloss ich nicht aus. Irgendein Zeichen der Götter eben, das uns sagte, wir dürften nicht aus diesem Bungalow ausziehen. Doch es war ein sonniger Herbsttag, die Umzugshelfer klingelten pünktlich und beseitigten in Rekordzeit sämtliche Spuren von Rachel und Nick Blakely aus beider Haus. Nick war natürlich hochzufrieden und nicht so mürrisch und angespannt wie ich. Deshalb drängte ich ihn beinahe zu fahren, als die Klinik anrief und ihn bat, bei einer Replantation zu helfen. Als er fort war, waren nur noch ich, die Möbelpacker und die leere Hülle unseres Zuhauses übrig.
Ich ging von Zimmer zu Zimmer, um mich zu vergewissern, dass die Helfer auch die richtigen Stücke eingepackt und nur jenen Teil des Mobiliars sowie ausrangierte Gegenstände stehen gelassen hatten, die die Müllabfuhr später entsorgen würde.
Volle fünf Minuten stand ich in unserem leeren Schlafzimmer und dachte an den fröhlichen Abend, an dem wir, nur einen Monat vor unserer Hochzeit, hier eingezogen waren. Dann ließ ich auch die furchtbaren Zeiten Revue passieren, die wir in diesem Zimmer verlebt hatten – die Annäherungsphase zwischen Nick und mir nach seiner Affäre, in der ich nächtelang wach lag und von finsteren Gedanken gequält wurde. Ich dachte auch an die letzten Monate; daran, wie ich voller Schuldgefühle in diesem Zimmer geschlafen hatte; aber immerhin neben dem Mann geschlafen hatte, den ich aufrichtig liebte und mit dem ich eine Familie gründen wollte.
Ich ging ins Gästezimmer, dann hinunter ins Wohnzimmer und die Küche. Ich sah durchs Fenster auf den Rasen, der nun von braunen Blättern bedeckt war. Seufzend verschränkte ich die Arme vor der Brust. Eines Tages würden auf diesem Rasen Kinder spielen – aber nicht die unseren.
Das Schwerste hatte ich mir für den Schluss aufgehoben: das Untergeschoss. Ich öffnete die Tür zur Treppe, dann verharrte ich auf dem oberen Absatz. Ich wollte das Zimmer – das Refugium, das Nick extra für mich ausgebaut hatte – nicht verlassen und leer sehen. Mir war klar, dass es jetzt nur noch ein gewöhnlicher Kellerraum war; ein Keller mit tapezierten Wänden und Strohmatten auf dem Boden. Ich hatte einen Kloß im Hals. Fang bloß nicht an zu heulen, befahl ich mir. Es ist nur ein Zimmer.
Doch in Wahrheit war es viel mehr als das, und nichts hätte mich je vom Gegenteil überzeugen können. Dieser Raum war ein Zufluchtsort, ein Symbol der Hingabe, ein sicherer Hafen.
Langsam und bedächtig stieg ich die Stufen hinab. Ich beschloss, nur kurz unten zu bleiben. Ich würde die besondere Atmosphäre in mich aufsaugen und mich an die schönen Momente erinnern, die wir hier verbracht hatten. Dann würde ich mich verabschieden und leise gehen.
Auf der letzten Stufe angekommen holte ich tief Luft und tastete nach dem Lichtschalter. Im selben Augenblick hörte ich eine leise Stimme sagen: “Hallo Rachel.”
Reflexartig und wie zum Selbstschutz flog meine rechte Hand an den Hals. Mir stockte der Atem. Ich zwang mich, die linke Hand zu bewegen. Dann betätigte ich den Schalter, und sogleich wurde der Keller in ein warmes Licht getaucht.
Kit saß im Schneidersitz mitten auf dem Fußboden. Ihre Augen mussten sich erst an das Licht gewöhnen, und sie blinzelte mehrmals. Wie lange hatte sie schon hier im Dunkeln gesessen?
Ich öffnete den Mund; er war trocken und fühlte sich sandig an. Kein Ton kam heraus. Mein Herz hämmerte wie wild in meiner Brust.
Ohne den Blick von mir abzuwenden, griff Kit hinter sich und hielt mir im nächsten Moment etwas Blutrotes entgegen. Robertos Bild. Ich hatte es in einen Karton gepackt und für die Müllabfuhr dort gelassen.
“Hast du nicht etwas vergessen?”, fragte sie.
Ich hastete die Stufen hinauf, vorbei an den irritiert dreinschauenden Möbelpackern und hinaus auf die
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