Roemisches Roulette
“Valerie”, murmelte ich. Ich wusch mir die Hände und eilte zum Telefon, doch als ich dort ankam, hatte es bereits aufgehört zu schellen. Ich rief die letzte Nummer aus der Anruferkennung ab. Eine unbekannte Handynummer mit einer 312-Vorwahl. Vermutlich Valerie. Ich wählte die Nummer.
Am anderen Ende der Leitung nahm jemand ab. Dann herrschte Stille.
“Hallo?”, sagte ich.
“Ach, hallo Rachel.”
Mir gefror das Blut in den Adern. “Kit.”
“Danke für den Rückruf.”
“Ich habe die Nummer nicht erkannt.”
“Ich habe ein neues Handy. Das alte hat nicht mehr richtig funktioniert”, sagte sie schnippisch. “Meine Freunde konnten mich irgendwie nicht mehr erreichen.”
“Ich wollte eigentlich jemand anderen anrufen.”
“Warum bist du nur so zu mir?”
Ich sah über meine Schulter. Die Tür zum Arbeitszimmer war noch immer geschlossen. “Lass uns in Ruhe, Kit”, zischte ich. “Bleib uns einfach vom Leib.”
“Uns, uns, uns”, spöttelte sie. “Du hast vielleicht Glück, Teil eines ‘Uns’ zu sein.”
“Ja, ich weiß”, erwiderte ich. “Ich weiß, dass ich Glück habe. Daran musst
du
mich nicht erinnern. Und auf deine Freundschaft kann ich auch verzichten. Also bleib uns vom Leib, zum Teufel!”
Ich knallte das schnurlose Telefon auf die Basisstation und im nächsten Moment merkte ich, wie meine Hand zitterte. Erneut warf ich einen Blick zur Bürotür. Immer noch zu. Ein Glas Wein kann nicht schaden, beschloss ich. Dann setzte ich mich auf einen Küchenhocker und schlürfte langsam ein Glas weißen Sauvignon. Nach zwanzig Minuten hatte ich mich beruhigt. Fast kam es mir vor, als hätte das Telefonat eine reinigende Wirkung auf mich gehabt.
Als ich gerade auf dem Weg zum Schlafzimmer war und mich in Gedanken schon in dem kuscheligen Nachthemd sah, das auf dem Zedernholzregal unseres neuen begehbaren Kleiderschranks lag, klingelte wieder das Telefon. Ich zuckte zusammen. Doch als ich an dem Apparat ankam, erkannte ich die Rufnummer des Wachmanns.
“Hier spricht Hector”, sagte er. “Haben Sie Sushi bestellt?”
“Ja. Schicken Sie ihn bitte rauf.”
“Nick!”, rief ich durch die geschlossene Bürotür. “Das Sushi ist da!”
Als es an der Wohnungstür klopfte, öffnete ich und bezahlte den Auslieferer.
“Danke”, meinte er, steckte das Trinkgeld ein und ging.
Ehe ich die Tür schließen konnte, kam noch jemand um die Ecke.
Mir stockte der Atem. Kit.
Sie flog förmlich auf mich zu und schubste mich so fest, dass ich die Tasche mit dem Sushi fallen ließ. Dann stürmte sie herein und knallte die Tür zu. Es klang wie ein Pistolenschuss. Instinktiv schlang ich schützend die Arme um meinen Oberkörper.
Kit stob an mir vorbei ins Wohnzimmer und sah sich in alle Richtungen um. Sie trug einen schwarzen Bleistiftrock, hohe Stiefel und eine kurze anthrazitfarbene Jacke. Dann blieb sie stehen – das Gewicht auf dem linken Bein, das rechte leicht zur Seite ausgestellt, eine Hand in die Hüfte gestützt. Auf ihrem Gesicht, das mir einst so lieb gewesen war, lag ein wütender Ausdruck.
“Ich hab dich auch vermisst”, sagte sie spöttisch.
12. KAPITEL
“W as willst du hier?”
Sie schnaubte verächtlich. “Hast du wirklich geglaubt, du könntest mich am Telefon einfach so abwürgen?”, fragte sie höhnisch und schüttelte dabei den Kopf. “Und noch viel wichtiger, Rachel: Hast du allen Ernstes gedacht, ich würde dich nicht finden? Dachtest du, du könntest mir nichts dir nichts in dieses schicke neue Hochhaus abhauen und mich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel?”
Ich bemühte mich ruhig zu bleiben. “Ich finde, du bist diejenige, die etwas fallen gelassen hat, Kit. Nämlich unsere Freundschaft. Und das schon vor langer Zeit.”
“Ach, ich bin also schuld? Dann hast du mich nach deiner Hochzeit wohl nicht allein gelassen, wolltest dich nicht viel lieber mit all deinen neuen Freunden treffen? Den Freunden, die alle in wunderbar harmonischen Beziehungen leben.”
“Nein”, entgegnete ich ruhig. Am liebsten hätte ich sie angeschrieen, doch noch viel lieber wollte ich sie so schnell wie möglich loswerden. Und zwar bevor Nick aus dem Arbeitszimmer kam. Ich warf einen kurzen Blick zu seiner Tür.
Kit fing ihn auf. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich von Wut zu Hohn. “Ist Nicky-Boy zu Hause?”
Ich schürzte die Lippen. “Kit, verschwinde und lass mich in Ruhe.”
Sie lächelte kalt. “Ich brauche mehr Geld.”
“Was? Ich habe
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