Roemisches Roulette
Unter ihrem Kopf hatte sich eine rote Lache ausgebreitet, die zusehends größer wurde.
Ich begann zu zittern, dann zu schluchzen. “Kit”, flüsterte ich und machte einen Schritt auf sie zu, doch ein Polizist fasste mich am Arm.
“Bitte Miss”, sagte er förmlich, “halten Sie sich von der Leiche fern.”
“Wir sind mir ihr befreundet”, mischte Nick sich ein. “Sie ist von unserem Balkon gestürzt.”
Der Polizist, ein kleiner Mann spanischer Abstammung, sah uns an. “Hier entlang, bitte.”
Er führte uns ein paar Schritte weiter zu einem der Polizeiwagen, dessen blaue Lichter aufblitzten. Dann sprach er einige Worte ins Funkgerät. Er öffnete die hintere Wagentür und forderte uns mit einer Geste auf einzusteigen. “Warten Sie hier. In fünf Minuten wird ein Detective vom Dezernat Kapitalverbrechen hier sein.”
Mein Herz pochte so laut, dass ich nicht sicher war, ihn richtig verstanden zu haben. “Verbrechen?”, wiederholte ich.
13. KAPITEL
“M s. Kernaghan hat ihren Besuch also nicht angekündigt?”, fragte John Bacco. Er war für einen Detective beim Morddezernat erstaunlich jung, hatte kurzes hellbraunes Haar und kluge braune Augen. Sein marineblauer Anzug sah aus, als er hätte er ihn erst gestern gekauft. Trotzdem umgab ihn eine weltmännische und gelassene Aura, die von Erfahrung zeugte.
“Nein, das habe ich Ihnen doch schon gesagt.” Ich sah mich um. Gewiss würden dieser weiße Raum und die lange harte Bank, auf der ich saß, gleich verschwinden. Ein Wirbelsturm würde durchs Zimmer fegen, mich in die Realität zurückholen. Mir würde klar werden, dass nichts von alledem wirklich geschehen war. Diesen Abend hatte es nie gegeben; Kit war nicht vorbeigekommen; ich hatte sie nicht angeschrien; sie und Nick hatten nicht gekämpft; sie war nicht über das Geländer gefallen.
Lästig war nur die immer lauter werdende Stimme in meinem Kopf, die mir sagte, dass sich die Wirklichkeit für immer verändert hatte.
Der Detective saß mir gegenüber auf einem ähnlich unbequem wirkenden Holzstuhl. Er rückte näher zu mir. Zwischen uns befand sich nichts. Kein Tisch, kein gar nichts. Irgendwie zu viel Nähe, zu wenig Distanz. Dabei ging dieser Schauplatz allein auf meine Kappe. Detective Bacco hatte Nick und mich in unserem Appartement befragen wollen, doch das konnte ich nicht ertragen. Überall standen Leute mit plärrenden Funkgeräten, und ich konnte den Blick nicht von unserem Balkon losreißen.
“Können wir das nicht irgendwo anders machen?”, fragte ich, während ich einen Polizisten beim Ausmessen des Balkons beobachtete. Ich hörte die Hysterie in meiner Stimme.
Detective Bacco zuckte die Achseln. “Wir können aufs Revier fahren.”
“Gut”, entgegnete ich und stand auf, “fahren wir.”
“Ich lasse einen Streifenwagen für Sie vorfahren.”
“Nein”, lehnte Nick entschlossen ab. “Auf keinen Fall. Wir fahren selbst.”
Und da saß ich nun in diesem trostlosen Zimmer und traute mich nicht zu gehen, weil es Nick und mich verdächtig machen könnte.
“Wissen Sie, wie Ms. Kernaghan am Wachmann vorbeigekommen ist?”, wollte der Detective wissen.
“Nicht genau. Haben Sie ihn gefragt?”
Detective Bacco lächelte freundlich. “Das darf ich Ihnen nicht sagen.”
“Was
dürfen
Sie mir denn sagen? Wie lange bin ich überhaupt schon hier?” Ich schaute mich in dem Zimmer um. Keine Uhr. Ich sah auf sein Handgelenk. Er trug keine Armbanduhr, genauso wenig wie ich. Ich hatte sie am Abend abgenommen, als ich aus dem Büro gekommen war. Wie weit weg mir das vorkam. Ich hatte keine Ahnung, ob seit Kits Todessturz eine Stunde oder ein Tag vergangen war. In diesem Raum gab es kein natürliches Licht; nichts, das einen Bezug zur Außenwelt herstellte.
“Ich bin mir nicht sicher”, antwortete der Detective. “Nur noch ein paar Fragen.”
“Das haben Sie vorhin auch schon gesagt, und ich habe Ihnen alles erzählt, woran ich mich erinnere.”
Alles, nur nicht, wie wütend Nick war. Dass er sie zuerst angegriffen hat. Dass er die Hände um ihren Hals gelegt und zugedrückt hat.
Inzwischen zweifelte ich meine Erinnerung an. Vielleicht war es ja tatsächlich so abgelaufen, wie Nick gesagt hatte. Kit war auf
ihn
losgegangen. Er hatte sich nur verteidigt.
Der Detective beobachtete mich aufmerksam. Dann wanderte sein Blick zu den Notizen, die er in der Hand hielt.
“Wo ist mein Mann?”, fragte ich.
“Er wird in einem anderen Zimmer vernommen.”
“Geht es ihm
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