Roemisches Roulette
Schrank. Ich packte den Test aus und hielt ich ihn kurz in meinen Urin, genauso wie es in der Anweisung stand, die ich inzwischen auswendig kannte.
Ergebnis frühestens in zwei Minuten.
Splitternackt stand ich im Bad und zählte die Sekunden. Zwei Minuten verstrichen, dann drei. Ich nahm den Test und schielte auf die beiden Felder. Nichts. Hatte ich etwas falsch gemacht? Unmöglich nach all der Zeit.
Für eine weitere Minute kniff ich die Augen fest zusammen. Ich war nicht mal sicher, welches Ergebnis ich sehen wollte, aber als ich wieder hinschaute, war es da – ein rosafarbenes Pluszeichen in dem runden Fenster. Ich spürte ein Ziehen im Magen, halb Freude, halb Galle. Die Hand auf den Mund gepresst wartete ich, bis es vorbei war. Dann öffnete ich die Tür mit einem Lächeln. Mir war fast albern zumute. Ich wollte es gleich Nick erzählen. Genau das brauchten wir jetzt. Wir hatten es uns so sehr gewünscht, und jetzt sollte sich dieser Wunsch erfüllen.
Nick war bereits wach und telefonierte. Vermutlich mit der Klinik wegen einer Operation.
Ich wartete. Den Test versteckte ich hinter dem Rücken. Ich konnte es kaum erwarten, sein Gesicht zu sehen, wenn ich ihm die Neuigkeit verkündete.
Da legte Nick auf und drehte sich um. Er sah schockiert aus. Sein Atem ging schnell und flach, seine Augen schweiften unruhig durch den Raum, bis sie schließlich auf mir landeten.
“Nick, was ist denn?”
“Das war Tom Severson. Die Polizei hat Strafanzeige gestellt. Wegen Mordes.”
Eine Stunde später saßen wir in Tom Seversons Eckbüro. Er trug eine khakifarbene Hose und einen braunen Kaschmirpullover, und zum ersten Mal, seit wir unseren Anwalt kannten, sah er besorgt aus.
“Setzen Sie sich”, forderte er uns auf und wies auf die beiden Ledersessel vor seinem Schreibtisch. Über die linke Wand erstreckten sich vom Boden bis zur Decke Bücherregale, die mit Akten, Gesetzestexten und Bilderrahmen gefüllt waren. Auf den meisten Aufnahmen waren Tom und drei blonde Kinder verschiedenen Alters zu sehen.
“Sie haben hübsche Kinder”, sagte ich.
Tom lächelte. “Danke. Sie sind das Beste, was ich je hinbekommen habe.”
Mir fiel auf, dass auf den Bildern keine Frau zu sehen war.
Tom schien meine Gedanken lesen zu können.
“Geschieden”, erklärte er. “Schon seit einiger Zeit. Ich war irgendwann zu sehr mit meiner Arbeit beschäftigt.”
Nick nickte. “Das passiert schnell.”
Ich staunte über unser Geplänkel. Ein Gespräch, das eher in einen Country Club gepasst hätte. Noch einmal blickte ich zu den Fotos. Nein, das wollte ich nicht – gerahmte Bilder, die nur mich und meine Kinder zeigten. Ich wollte Familienfotos. Nick und ich mit unseren beiden Kindern. Wir vier am Strand oder in einer abgelegenen Hütte im Wald. Doch dann landete mein Blick auf einem juristischen Wälzer mit dem Titel “Strafprozessordnung für Illinois”, und mir fiel wieder der Grund unseres Besuchs ein.
“Tom”, sagte ich, “reden wir nicht lange um den heißen Brei herum. Wurde gegen uns wirklich Anklage erhoben?”
Tom hielt die Hände weit auseinander. “Nicht offiziell. Noch nicht. Aber die Polizei hat Strafanzeige gestellt. Darin werden Sie beide des Mordes an Kit beschuldigt.”
Sie beide. Kit. Mord.
Diese Worte passten nicht zusammen. Wir hatten nichts getan. Nach einem Blick zu Nick dachte ich:
Ich
habe nichts getan.
“Wenn es doch aber eine Strafanzeige gibt, wieso ist dann gegen uns noch nicht förmlich Anklage erhoben worden?”, hakte ich nach.
“Einfach gesagt: Die Polizei glaubt, Sie haben es getan. Sie glauben, Kit hätte Sie erpresst, Rachel. Sie denken, Sie wären der ganzen Sache überdrüssig geworden, hätten Nick davon erzählt, und hätten gemeinsam beschlossen, Kit aus dem Weg zu räumen.”
“Das ist lächerlich!”, empörte ich mich und meinte es auch so. Allein in diesem Büro zu sitzen und sich diese Worte anzuhören war bizarr und passte nicht in meine Welt. Ich musste mich zwingen, nicht aus dem Fenster oder auf die Fotos von Tom und seinen Kindern zu starren. Alles wäre mir als Flucht aus der Realität willkommen gewesen.
Ich dachte an unser Baby. Noch hatte ich es Nick nicht gesagt, aber ich wusste, dass er überglücklich wäre. Ein Kind hatten wir uns schon immer gewünscht. Allein deshalb mussten wir uns dieser Situation stellen und sie überwinden.
“Woher wissen Sie das alles?”, fragte ich Tom. “Ich meine, wenn noch nichts offiziell ist.”
“Ich habe einige
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