Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
konnte. Ronlads Hand legte sich schwer auf seine Schulter, aufgewühlt blickte Thamar in das mittlerweile so vertraute alte Gesicht.
„Du hast viel Leid erfahren, junger Prinz. Diejenigen, die dich hätten beschützen und lieben sollen, haben dich verraten, versucht dich zu töten, oder sich geweigert, dir beizustehen. Ist es das, was auch dem Fremden geschah? Hätten die Götter ihm helfen sollen?“
Thamar nickte beklommen. Ronlad hatte noch nie so offen gezeigt, wie viel er über seine Vergangenheit wusste.
„Pya und Ti haben ihn gemeinsam auf die Suche nach dem Splitter von Pyas Flöte geschickt, und er hat ihn gefunden. Das Artefakt schleuderte ihn durch Raum und Zeit, weit in die Zukunft. Über viertausend Jahre weit, an diesen Ort, wo es wenigstens einen einzelnen Menschen gab, der bruchstückhaft seine Sprache verstand. Als ihr ihn gesund gepflegt hattet, betete er zu den Göttern, damit sie ihm den Zweck verrieten, warum er hierhergekommen war. Ti antwortete ihm.“ Thamars Stimme brach, aber nun, da er begonnen hatte, drängte es heraus, er musste es erzählen!
„Ti sprach zu ihm und sagte: Deine Aufgabe ist, Zeugnis zu geben von dem Ort, an dem der Splitter zu finden ist. Ein Mann wird möglicherweise kommen, dies ist nicht gewiss, denn die Zukunft ist liegt im Schatten der Möglichkeiten. Er wird diese Splitter suchen, der Prinz einer Stadt, der noch lange nicht geboren ist. Schreibe nieder, was dir geschah, damit der Prinz seinen Weg findet – für den Fall, dass er jemals auf die Suche geht. Du hast danach die Wahl, zu bleiben, wo du nun bist, und dir ein Leben zu suchen, oder zu dem Splitter zurückzukehren und zu sterben, sobald du ihn ein zweites Mal berührst .“
Die Finger des Priesters bohrten sich schmerzhaft in Thamars Schultern, dennoch hielt er nicht inne, sondern sprach weiter: „In den Aufzeichnungen steht genau, wo ich den Splitter finden kann. Der Fremde wollte dorthin zurück, er wollte lieber sterben als ein Leben unter den Augen von Göttern zu führen, die ihn benutzt haben wie ein Stück Holz oder einen alten Lumpen.“
Er riss sich los und wich vor Ronlad zurück. Es hatte noch mehr, noch viel mehr in den Aufzeichnungen gestanden. Wie sinnlos und grausam es war, für eine Zukunft sterben zu müssen, die vielleicht niemals Wirklichkeit werden würde. Gedanken darüber, wie wenig die Götter es kümmerte, ob ein Mensch lebte oder starb, ob er wiedergeboren wurde oder aus ihrer Reichweite durch die Jenseitstore verschwand – was auch immer diese wirklich sein mochten.
„Ich werde morgen früh aufbrechen“, sagte er niedergeschlagen. Er wollte nicht fort, doch noch länger zu bleiben würde niemandem helfen.
„Es ist traurig, dich ziehen zu sehen. Ich werde dich vermissen. Aber es ist dein Weg, der dir aufgezwungen wurde.“ Ronlad lächelte. „Verzweifle nicht, junger Freund. Ja, die Götter sind rücksichtslos, ähnlich wie wir Menschen es sind, nur, dass ihre Taten weiterreichende Folgen haben. Du weißt, das Bestreben, Gutes zu tun, das Richtige zu tun, kann Fürchterliches bewirken. Doch ist es nicht bedeutsam, dass Gutes beabsichtigt wurde, egal, was daraus letztendlich entsteht? Ich für meinen Teil will lieber unter der Faust eines rücksichtslosen Gottes zerschmettert werden, der Gutes bewirken will, als in einer Welt leben, die von allen Göttern verlassen ist. Eher will ich leiden und mich fürchten unter der Aufmerksamkeit und Liebe eines fordernden Allmächtigen, als niemals Halt im Glauben zu finden.“
Langsam nickte Thamar ihm zu. „Ich weiß, was du meinst, Ronlad. Ich wäre nicht hier, wenn ich es nicht genauso sehen würde.“
Langsam sammelte er die Schriftstücke zusammen. „Möchtest du sie weiter aufheben?“
Der alte Priester strich andächtig über das knisternde Pergament. „Es gibt noch einige wenige Gelehrte, die Nagaurisch beherrschen. Sie könnten sich zu uns verirren, ähnlich wie du, und von der Grausamkeit der Welt lesen.“ Er lächelte, als er die Pergamente nacheinander von einer Kerzenflamme zu Asche zerfallen ließ. „Manche Wahrheiten sollten nicht leichtsinnig offenbart werden, nicht wahr?“ Sie nickten einander zu, wissend, dass die Wahrheit nicht versteckt oder verbrannt werden konnte.
13.
„Um eine Hexe zu hindern, in ihre Nebelwelten zu flüchten, braucht es starke Feuermagie, nicht immer reicht die Macht eines einzelnen Priesters aus. Man hörte von Pya-Töchtern, die auch einem halben Dutzend Geweihten entkommen
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