Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
auf den Felsen da drüben, dann können wir uns unterhalten.“ Die Stimme der offenbar weiblichen Fremden klang misstrauisch, aber nicht feindselig. Sie hatte seltsam zotteliges, bernsteinfarbenes Haar, das sie erfolglos mit einer Lederschnur zu bändigen versuchte. Eiven steckte das Jagdmesser zurück in die Gürtelscheide und ließ sich betont langsam auf den Stein sinken.
„Du brauchst Hilfe mit deiner Wunde“, sagte er leise.
„Ich brauche von niemandem Hilfe. Gehörst du zu der Bussard-Sippe?“ Die kleine Kriegerin steckte das Schwert weg und musterte ihn scharf. Eiven war sich nur zu bewusst, wie bleich seine Haut war, selbst diese Nicht-Loy erkannte ihn anscheinend sofort als Bastard.
„Nein, zu den Adl... eigentlich zu gar keiner mehr“, murmelte er und wandte den Kopf ab. Seine Schande zu leben war eine Sache, sie offen zu gestehen eine andere.
Die Fremde sagte nichts, sondern riss sich ein Stück Stoff vom Saum ihres Überwurfes ab, mit dem sie ihr Bein verband, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
„Das muss gereinigt werden, auch oberflächliche Bisswunden von Saduj entzünden sich leicht“, sagte er zögernd.
„Ich weiß. War nicht meine erste Begegnung mit den Viechern“, knurrte sie gereizt. Etwas an Eivens Mimik ließ sie wohl innehalten, sie seufzte und nickte ihm zu.
„Entschuldige, ich benehme mich selbst wie ein Saduj. Mein Name ist Avanya, ich bin eine Nola. Ich danke dir herzlich, ohne deine Hilfe hätte ich nicht überlebt. Da du zu den Adlern ... gehört hast, dann kennst du sicher Niyam? Er hat mir gestattet, in diesem Bergwerk zu überwintern. Von ihm habe ich auch das Schwert. Es ist ungewohnt mit diesem Holzgriff, aber es ist wirklich sehr hübsch gemacht.“
Eiven zuckte bei Niyams Namen zusammen und starrte Avanya ungläubig an. Eine Nola ? Doch er sagte nichts dazu, fragte stattdessen: „Warum haben sie dich angegriffen? Es ist selten, dass Saduj noch weiterkämpfen, wenn sie bereits mehr als einen der ihren verloren haben.“
„Sie wollen nicht mich, sondern das, was ich beschütze.“ Avanya lächelte ihm zu, ein freches, merkwürdig lebendiges Lächeln. Es ließ sie weniger kindlich und zerbrechlich aussehen. Eiven wurde klar, dass sie wahrhaftig eine Kriegerin sein musste, eine erwachsene Frau, was immer sie sonst noch war.
„Wenn du mir erzählst, warum du jetzt zu keiner Sippe mehr gehörst, zeige ich dir, was die Saduj bei mir gesucht haben.“ Überrascht ergriff Eiven die Hand, die sich ihm entgegenstreckte, und ließ sich in die Höhe ziehen. Er betrachtete die zarten Finger, die weiß schimmernde Haut der kleinen Kriegerin. Hell, wie seine eigene. Noch viel heller sogar. Er erwiderte das
Lächeln zaghaft. Wann hatte man ihn das letzte Mal freundlich angelächelt?
Er folgte der Nola, die mittlerweile auf das Bergwerk zumarschierte, schluckte kurz, bevor er ihr folgte. Falls es sein musste, würde er auch in dunkle Steinlöcher kriechen!
12.
„Es gibt Geheimnisse, die Menschenleben fordern. Es gibt Geheimnisse, die es wert sind, mit aller Macht beschützt zu werden. Und es gibt Geheimnisse, die so furchtbar sind, dass niemand von ihnen wissen will.“
Aus einem Brief von Ashlarn, erster König von Roen Orm, an einen unbekannten Empfänger, im Jahre 1 nach Gründung der Stadt
Mit zitternden Händen legte Thamar die Pergamente zur Seite. Es hatte ihn volle zwei Wochen gekostet, alles zu übersetzen. Er war immer noch nicht sicher, ob er das wissen wollte, was er hier erfahren hatte. Er rieb sich das schmerzende Gesicht, die Stirn und blieb einfach sitzen. Ronlad würde bald kommen, wie jeden Abend. Thamar war zu erschöpft, um etwas anderes zu tun als warten. Er legte den Kopf auf die Arme. Ein bisschen ausruhen, nur ganz kurz …
Die Elfe lag still auf ihrem Lager, die Hände auf der Brust gefaltet. Nur die langsamen Atemzüge bewiesen, dass sie noch lebte. Wie traurig sie aussah, selbst im Schlaf!
„Maondny, wach auf, es wird Zeit.“ Fin Marla beugte sich über ihre Tochter, die nun die Augen aufschlug. Tränen liefen über das Gesicht der Königin, und auch P’Maondny begann zu weinen.
„Ich weiß, es ist soweit. Doch nun, da der Moment gekommen ist, habe ich Angst“, schluchzte sie und klammerte sich an ihre Mutter.
„Fürchte dich, Kind. Solange du noch Angst empfindest, bist du eine Elfe. Möge der Tag niemals kommen, an dem du nichts mehr fürchtest, nicht die Götter, nicht dein Versagen. Aber nun geh. Mein Herz ist bei dir.“
Das
Weitere Kostenlose Bücher