Roen Orm 4: Herrscher der Elemente (German Edition)
blickte er in all diese vertrauten Gesichter, zuletzt in das von Misham. Sein Halbbruder hielt ihm nicht einen Herzschlag lang stand, er senkte den Kopf. Eiven wusste, es würde Misham endgültig zerbrechen, wenn er seinen Vater verlor. Dies war seine Gelegenheit zur Rache … Doch die wollte er längst nicht mehr. Er spürte Avanyas Hand, die sich in seine schob und ihm Trost schenkte. Er wusste, dass alle Loy sich darüber wunderten, und lächelte in sich hinein. Ja, so war es richtig. Es gab nichts mehr, was ihn hier hielt, und es gab keinen Grund, verbrannte Erde zu hinterlassen.
„Fanven war ein Werkzeug der Götter. Er diente, um der Elfe Geleit in die nächste Welt zu verschaffen, auch, wenn er dies nicht wusste. Diese Tat ist nicht mit Blut fortzuwaschen. Es gibt nichts, was ich von ihm fordere.“
Er trat dicht an Fanven heran.
„Du wirst zweifellos den einsamen Tod suchen, um der Schande zu entgehen, von allen verachtet zu werden. Tu es. Es gibt keinen leichten Weg für dich.“
Als er sich abwandte, sah er die Bewegung aus dem Augenwinkel – gerade noch rechtzeitig, um den Dolch beiseite zu schlagen, den Fanven auf ihn zielte.
Nur einen Moment später sank Fanven sterbend zu Boden. Roya hatte das Messer geworfen, das den Tod über ihren einstigen Gefährten brachte.
„Nun hat es ein Ende“, flüsterte sie, und schritt davon, ohne sich noch einmal umzusehen.
Misham blickte Eiven hinterher, als die kleine Gruppe sie schließlich verließ. Das Entsetzen über den Tod seines Vaters betäubte ihn, er konnte nicht denken noch fühlen – außer Angst. Jene Angst, die ihn umtrieb, seit Eiven verschwunden war. Misham wagte nicht zu fragen, ob sein Halbbruder jemals wiederkehren würde, um ihn für all seine Verbrechen anzuklagen. Dieser Friede würde ihm wohl niemals vergönnt werden.
40.
„Ordnung ist die Abwesenheit von Chaos. Ordnung herrscht, wenn alles sich genau dort befindet, wo es hingehört. Ordnung ist immer unsichtbar und leichter zu zerstören als jedes andere Element dieser Welt. Nur ein Hauch, und schon war alle ordnende Mühe umsonst.“
Zitat aus „Pflicht und Freude der Haushaltsführung“, Ratgeber, von Luanna von Barrand
Die alte Hexe seufzte erschöpft. Ja, sie hatten Ordnung über Enra gebracht. Vieles war überraschend leicht gewesen. Thamar war von Roen Orms Bürgern wie von allen Adligen des Kontinents mit offenen Armen empfangen worden, vor allem, nachdem Cero sich zu ihm bekannte. Er heiratete in seinem zweiten Jahr auf dem Thron eine Gräfin aus Lynthis – diesmal eine echte Dame, keine Hexe – um den Frieden zu sichern. Mit dieser Frau verband ihn keine Liebe, nur die Pflicht; doch nach einigen Jahren entwickelte sich zumindest Freundschaft zwischen ihnen. Sie hatten mehrere Kinder, die von keinem blutrünstigen Gesetz bedroht wurden. Zeit seines Lebens blieb er seelisch mit Maondny verbunden und ihre Kristallträne nutzte ihm in zahlreichen Momenten, die richtige Entscheidung zu finden. Sie schließlich mit ihm ins Grab gelegt. Die Hexen wirkten weiterhin im geheimen, am Königshof wie auch an vielen anderen Orten, um ihre Ziele zu erreichen. Inani sorgte dafür, dass alle so genannten Tempel der Heiligen Mutter von Töchtern des Lichts übernommen wurden, damit auch jene, die nicht von Pya erwählt waren, ihre magischen Kräfte und Fähigkeiten entwickeln durften. Die ehemalige Königin Rosanna half ihr dabei unermüdlich, solange sie lebte.
Janiel hatte einen schweren Stand als Erzpriester, aber indem er seine größten Kritiker allesamt für einige Wochen zu Ronlad nach Kashuum schickte – manche auch dauerhaft –, konnte er eine Eskalation verhindern und den Boden für neue Ideen bereiten. Er musste Roen Orm nach einigen Jahrzehnten verlassen, als es zu viele Sonnenpriester gab, die seine Illusion vom alternden Mann durchschauen konnten. Er blieb ewig jung, wie es sonst nur den Hexen gegeben war. Gemeinsam mit Inani kehrte er im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zurück in die ewige Stadt und wurde schließlich zu einer Legende unter den Geweihten. Er erneuerte die Bruderschaft des Ti von innen heraus, und ein Zeitalter des Glaubens und friedvoller Götterverehrung begann. Magische Fähigkeiten waren weder Schande noch das einzige, was einen Priester kennzeichnete. Thamars Nachfahren unterstützten ihn und Inani, gemeinsam arbeiteten sie auf das Ziel hin, die Provinzverwaltungen Enras behutsam von der Macht abzuschneiden, neue Gesetze
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