Roen Orm 4: Herrscher der Elemente (German Edition)
und gesellschaftliche Normen zu erschaffen, bis ein politisches Gleichgewicht entstand, in dem das Land wachsen konnte und der Friede gesichert war.
Avanya und Eiven gelang es gemeinsam mit dem weißen Vogel, die Erinnerungen aller Völker an das zu wecken, was einst gewesen war. Der Krieg mit den Chyrsk wurde beendet, es kam zu vorsichtigen Annäherungen zwischen Nola und Loy. Da die Kulturen beider Völker sich zu stark voneinander getrennt hatten, blieb es dabei, aber es war ein guter Stand, der erreicht wurde, von dem alle profitierten. Die Flügelpferde, die noch in Enra verblieben waren, zeigten sich wieder offen, den Nola wie den Loy. Avanya und Eiven kehrten beide niemals zu ihren Familien zurück, doch ihre Kinder wurden zu wichtigen Botschaftern. Diese Geschöpfe mit perlmuttweißer Haut und den Flügeln der Loy wurden überall mit Hochachtung empfangen, in Roen Orm genauso wie in den Wäldern der Loy und den Städten in den Tiefen der Erde. Avanya lehrte die Chyrsk, Tunnel und Höhlen zu erbauen, die nicht einstürzen konnten, zeigte außerdem den Menschen von Corbul, wie man Brennsteine abbaute, ohne sich und das Land dabei zu zerstören. Innerhalb weniger Jahrzehnte war aus dem winzigen Städtchen eine wichtige Handelsmetropole gewachsen. Eiven half den Chyrsk, Nahrung anzubauen, und brachte Heilung über jene Wälder, die für Kriegsflotten gerodet worden waren.
Inani hatte irgendwann beschlossen, dass sie Mutter werden wollte, und eine Hexengeburt erzwungen. Man verstieß sie dafür vom Thron der Hexen, weil die Dunklen Töchter es nicht hinnehmen wollten, dass mittels Magie ein von Pya gesegnetes Kind geboren wurde. Gekümmert hatte sie das wenig, nach Jahrhunderten im Dienst der Göttin war Inani es längst müde geworden, sich um die Belange der Hexen zu sorgen. Wie groß war die Überraschung für sie und Janiel gewesen, als sie entdeckten, dass sie eine wiedergeborene Seele aufzogen! Ylankas Seele lebte in ihrer Tochter Felara, die Mutter von Corin. Felara wurde später zur Hexenkönigin, und auch sie erzwang eine magische Geburt, wofür man sie allerdings nicht zu verstoßen wagte.
Inani blickte auf, als sie Schritte hörte. Loéys war gekommen. Lächelnd setzte sie sich neben Janiel nieder. Sie hatte ihm bereits am Morgen den Todeskuss gegeben, noch bevor sie nach den Hexenschwestern rief. Pya sorgte dafür, dass sein Leichnam erst zu Erde zerfallen würde, wenn auch Inani soweit war. Der weiße Vogel hatte sich zuvor von ihm verabschiedet und angekündigt, dass er Enra verlassen und zum Weltenschöpfer zurückkehren wollte. Seelenvertraute hatten Janiel und sie seit langer Zeit nicht mehr an sich gebunden, damit niemand für sie sterben musste, wenn sie ihre Lebensaufgabe als erfüllt ansahen. Inani hatte im Laufe ihres unglaublich langen Lebens mehrere Kyphras und Leoparden an ihrer Seite gehabt, und niemals hatte sie Marjcheog vergessen können.
~*~
„Nun ist es also soweit“, sagte Loéys leise. Sie war so stolz, dass sie ihrer Großmutter das letzte Geleit geben durfte, auch, wenn sie sich ein wenig davor fürchtete, dieses gewaltige Leben in sich aufzunehmen. Inani legte ein schweres Buch auf den Tisch. Loéys freute sich – sie hatte gehofft, dass Inani jenen seltenen Zauber wirken würde, der die Erinnerungsflut unmittelbar vor dem Todeskuss auf Pergament bannte.
„Meine Chronik, Loéys. Verwahre sie gut, in ihr sind alle Gedanken und Erinnerungen aufgezeichnet, mein ganzes Leben. Und nicht nur mein eigenes.“
„Ich werde sie hüten.“ Tief bekümmert küsste Loéys Janiels Stirn. Sie hatte ihren Großvater stets verehrt. Diese Welt würde ärmer sein ohne diese beiden!
„Loéys, zwei Dinge noch, bevor ich endlich ruhen will. Zum einen bitte ich dich, vom Ritual abzuweichen.“ Sie stellte ein Körbchen voller gesponnener Haarfäden bereit. „Du wirst in meinen Gedanken finden, was du dazu wissen musst, ich bitte dich, mir diese Hoffnung erfüllen.“
Loéys nickte, es wunderte sie keineswegs, dass Inani nicht auf gewöhnliche Weise von Enra gehen wollte. Diese Hexe hatte niemals etwas auf dem gewohnten, traditionellen Weg begangen.
„Zum zweiten: Wie du weißt, hat deine Seele bereits einmal gelebt.“
„Ja, ich weiß. Ich war Corin, deine beste Freundin in deiner Jugend.“
„So ist es. Wundere dich nicht, wenn du Corin in meiner Erinnerung findest und feststellst, dass du wenig mit ihr gemeinsam hast. Du bist ganz und gar einzigartig.“
Inani
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