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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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puterrot, schnappte sich ihre Schulsachen und verschwand, ohne auf ihren Bruder zu warten.
    Reinhard schüttelte noch einmal nachdrücklich den Kopf, nahm Jost an die Hand und verließ das Haus.
    Ich blieb mit dem roten Herzen allein und schämte mich. Natürlich, das war eine Kinderschrift. Das Herz war nicht gerade kunstvoll ausgeschnitten. Wie konnte ich nur so dumm sein, meinen Mann zu verdächtigen oder mir gar selbst einen Verehrer zu erträumen!
    War Lara verliebt? Ich wäre nie darauf gekommen, da ich in ihrem Alter solche Gefühle verdrängt hatte. Sie schien mir noch sehr kindlich.
    Meine Tochter kam bemerkenswert früh nach Hause, eine ganze Stunde vor ihrem Bruder. Sie stürmte in die Küche und schrie mir ins Gesicht: »Er leugnet!«
    Wer war »er« ?
    Ein Junge aus ihrer Klasse namens Holger. Auch Laras Freundin Susi war er verdächtig vorgekommen. »Er hat uns immer so bescheuert angeglotzt!«
    Auf dem Heimweg hatten die beiden Mädchen den armen Holger in die Mangel genommen. Er habe immer wieder beteuert, er wisse noch nicht einmal, wo Lara wohne. Meine Tochter glühte.
    »Wir haben >Serviettenficker< zu ihm gesagt und ihm sein Taschenmesser weggenommen. Meinst du, wir hätten ihn foltern müssen?«
    Ich war entsetzt. Was taten sich da für Abgründe auf, wie wenig kannte ich mein Kind. »Aber wenn er dir Rosen geschenkt hat, dann ist das doch nichts Böses ...«, versuchte ich abzuwiegeln.
    Lara fand jedoch, Jungen seien doof, und wegen diesem Idioten habe Papa sie heute morgen angeschrien. »Na warte«, drohte sie, »wenn er noch ein einziges Mal...«
    Nachdenklich betrachtete ich meine Tochter. Von wem hatte sie bloß diesen Kampfgeist?
    Aber auch sie überlegte. »Vielleicht ist Holger fast schon in der Pubertät!«
    Nun ging mir plötzlich ein Licht auf. Laras Lehrerin hatte, anläßlich der Ermordung eines Mädchens in einer Nachbargemeinde, mit den Kindern über das richtige Verhalten gegenüber Fremden gesprochen. Aber auch bekannte oder sogar vertraute Personen könnten gefährlich werden. Lara hatte Angst bekommen. Das männliche Geschlecht erschien ihr plötzlich samt und sonders suspekt.
    Sollte ich Lucie von unserem häuslichen Rosenkrieg erzählen? Lieber nicht, wo sie doch selbst so zurückhaltend war. Wahrscheinlich würde sie es lächerlich finden, daß mich eine solche Lappalie beschäftigte. Und dann stellte sich auch schon bald heraus, daß Lara ihren Klassenkameraden zu Unrecht verdächtigt hatte.
    Es war wieder Montag, den ich bereits Rosenmontag nannte, aber kein Blümchen weit und breit. Ich war erleichtert, daß der Spuk vorbei war. Eigentlich hatte ich mich ziemlich hysterisch benommen, also machte ich mich mit guten Vorsätzen an längst fällige Arbeiten. Reinhard hatte mir eine volldiktierte Kassette hinterlassen, im Garten mußten dringend holzige Radieschen geerntet werden, die Kinder hatten keine sauberen Jeans mehr im Schrank.
    Vom Garten aus sah ich, daß unser Briefträger im Anmarsch war. Schon immer war ich hocherfreut, wenn ich Post bekam, und außerdem neugierig, ob die anderen Familienmitglieder auch etwas erhielten. Aber ich wollte in meinem dreckigen Sackkleid und mit meinen erdigen Händen nicht mit dem Briefträger plaudern, sondern wartete, bis er die Post eingeworfen hatte.
    Wie meistens war nichts Besonderes im Briefkasten. Ein paar Reklamezettel, eine Postkarte meiner Mutter aus einem Kurhotel in Bad Wildungen und ein Umschlag ohne Briefmarke. Aber als ich das Kuvert in der Hand hielt, wußte ich sofort, daß es nichts Gutes bedeutete. Mit Bleistift stand geschrieben: Für Reinhard persönlich.

Perlenbesetzt

    Georges de la Tour hat die büßende Magdalena neben einen goldgerahmten Spiegel plaziert, der das Licht der hochaufflammenden Kerze ein zweites Mal leuchten läßt. Ganz still und in sich ruhend sitzt die berühmte Sünderin vor Kerze und Spiegel und faltet die rundlich-weichen Hände über einem Totenkopf. Das lange Haar, das einmal als Handtuch diente, fällt schwer den Rücken hinunter, das ernste Gesicht wendet sich vom Betrachter ab, in ihrem Schoß ist der knochige Schädel so selbstverständlich auf den langen roten Rock gebettet, als wäre er ein Kätzchen.
    Magdalena hat ihren Schmuck abgenommen, die vielreihig gedrehte schimmernde Perlenkette. Irdischer Besitz in seiner Vergänglichkeit ist angesichts des Totenkopfes und der rasch niedergebrannten Kerze überflüssig geworden.
    Daß man Perlen nicht vor die Säue werfen soll, werden

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