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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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bitter.
    Lucie kam der Gedanke, ob ich nicht Lust hätte, vormittags auf ihre kleine Eva aufzupassen und gegen zwölf Moritz vom Kindergarten abzuholen. Gegen gute Bezahlung.
    »Du weißt doch, daß mir meine eigenen Kinder am Rockzipfel hängen und daß ich außerdem für Reinhard die Sekretärin spielen muß«, sagte ich. »Wie soll ich da auch noch Tagesmutter sein? Außerdem kann ich mich sowieso nie lange bei dir aufhalten, außer du schaffst Orfeo ab.«
    Lucie nickte, meine Katzenallergie belastete unsere Freundschaft.
    Mein geliebtes Hobby, das immer zu kurz kam, hatte ich gar nicht als Hinderungsgrund erwähnt. Ich hatte nämlich schon lange den Verdacht, daß meine Bilder hinter vorgehaltener Hand als herziges Kunstgewerbe abgetan wurden.
    Wenige Tage nach unserer Einladung, als ich in Hausschuhen und Bademantel aus der Haustür schlüpfte und die regennassen Stufen zur Straße hinunterflitzte, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu angeln, entdeckte ich am Scheibenwischer von Reinhards Geländewagen eine rote Rose. Da es nieselte und ich nicht naß werden wollte, ließ ich die Rose stecken und deckte den Frühstückstisch. Als Reinhard, Lara und Jost wie immer verspätet Kaffee und Kakao tranken, hatte ich die Blume bereits wieder vergessen.
    Aber beim Abendessen erinnerte ich mich daran. »Wo hast du die Rose gelassen?« fragte ich meinen Mann.
    »Was?« sagte er.
    »An deinem Scheibenwischer steckte heute früh eine rote Rose, Symbol der Liebe...«
    Reinhard stellte sich entweder dumm oder war blind für derlei geheimnisvolle Verehrung. Er habe keine Rose bemerkt, vielleicht sei sie beim Anfahren heruntergefallen, es habe geregnet.
    Im stillen stellte ich mir vor, daß diese Rose eigentlich mir gegolten habe, als zarte Anspielung auf den Namen Annerose. Oder hatte sich am Ende Silvia einen Scherz erlaubt?
    Ich maß der Sache keinerlei Bedeutung bei und hätte nicht mehr daran gedacht, wenn ich nicht genau eine Woche später eine neue rote Rose am selben Ort entdeckt hätte.
    Triumphierend legte ich das Corpus delicti vor Reinhards Kaffeetasse. »Was soll'n das?« fragte er. Morgens las er am liebsten wortlos die Zeitung.
    »Genau wie letzte Woche!« sagte ich und sah ihn forschend an. War seine harmlose Reaktion echt? War er ein Meister der Verstellung? Hatte er eine heimliche Geliebte - oder hatte am Ende ich einen mysteriösen Verehrer?
    Nach der dritten Rose begann ich, Reinhard scharf zu beobachten, seinen Terminkalender auf freie Stunden zu prüfen und genau zu registrieren, ob er sich anders als sonst anzog. Da ich meine Sekretärinnenaufgaben zu Hause erledigte, betrat ich selten sein Büro, denn dort putzte eine junge Türkin. Ich beschloß, ihn demnächst »spontan« in seinem Reich zu besuchen.
    Als Reinhard in der Badewanne saß, knöpfte ich mir seine Brieftasche vor. Keine Liebesbriefe, jedoch eine dubiose Restaurantrechnung. Laut Terminkalender war an diesem Abend ein Tennisspiel vorgesehen, ich erinnerte mich, daß er ziemlich spät heimgekommen war und zu Hause kaum etwas gegessen hatte. Neben teurem Wein und Grappa entzifferte ich auf der Quittung: »1 x Sen.T.«, »1 x T-Bone«. Das Steak ging auf sein Konto, aber eine Geliebte, die einen Seniorenteller bestellte, war schon ein interessanter Fall. Während ich extra für ihn Bratwurst mit Kartoffelbrei zubereitet hatte, ging er mit einer Unbekannten essen. Zu Hause wurde jeder Pfennig dreimal umgedreht.
    Vier Rosen hatten mich ziemlich mitgenommen. Natürlich versuchte ich, die Täterin in flagranti zu erwischen, aber sie mußte mitten in der Nacht herbeischleichen. Ich konnte noch so früh aus dem oberen Flurfenster spähen, die Rose war stets vor mir da. Wenn ich im Morgengrauen auf die dunkle Straße hinuntersah, erfaßte mich ein grenzenloses Sehnen, daß die Königin der Blumen für mich bestimmt, daß ein Prinz, Klaviervirtuose oder wenigstens ein Bankdirektor auf dem Weg zu mir gewesen sei. Nachts träumte ich vom sympathischen Hausarzt und vom netten Statiker, der manchmal zu einer kurzen Besprechung zu uns kam, aber es waren mit Angst besetzte Affären, mit denen mich mein Unterbewußtsein schikanierte.
    Statt der fünften Rose fand ich ein rotes Pappherz mit der goldenen Inschrift: I.L.D. - Ich liebe dich. Als ich Reinhard den Beweis seiner Untreue auf das Marmeladenbrötchen klebte, fuhr er erschrocken hoch.

    »Larale, sag deinem Rosenkavalier, er soll das lassen«, schnauzte er unsere zehnjährige Tochter an. Sie wurde

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