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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Ellen, die wie die Königin der Nacht auf einer Mondsichel saß, ein perlenbesetztes Gewand trug und mir unerträglich hohe Warntöne in die Ohren kreischte. Es waren Laute, die ich in meiner Kindheit von einer sterbenden Maus gehört hatte.

    Um mich abzulenken, begann ich bereits am nächsten Tag mit der Planung des Familienbildes. Ich wußte, daß es viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Da meine Mutter ihren Rücken in einem Heilbad auskurierte, bat ich sie schriftlich, mir bei ihrer Rückkehr zwei Kopien von Maltes Foto zu schicken. Ich gedachte, Ellen ein Abbild ihres Halbbruders zu schenken, was ich Mutter jedoch vorerst verschweigen wollte.
    Zum Glück hatte ich noch Glasvorräte. Ich suchte mir das größte Stück heraus und entwarf eine provisorische Personenanordnung. Die Hauptschwierigkeit bestand wohl darin, daß die Menschen auf den Fotos ganz unterschiedlich in der Größe ausfielen; außerdem waren sie insgesamt zu klein, um sie direkt auf mein Bild zu übertragen. Ich mußte Vergrößerungen machen lassen.
    Am eindrucksvollsten erschien mir die Großmutter väterlicherseits, die in starrer Haltung und mit gefalteten Händen kerzengerade auf ihrem hochlehnigen Stuhl saß. Das weiße Haar war hochgesteckt, das dunkle Kleid mit vielen Biesen garniert, und um den Hals trug sie eine dünne Perlenschnur. Es schien fast, als müsse sie nur einen Totenkopf auf den Schoß nehmen, um sich in eine büßende Magdalena zu verwandeln. Ich erinnerte mich vage, daß mein Vater sie als strenge Mutter schilderte, die mit dem Kochlöffel zu prügeln pflegte. Da ich einen relativ alten Vater hatte, waren die Großeltern bei meiner Geburt schon längst verstorben.

    Bis zum nächsten Rosenmontag fehlten noch vier Tage, als ich von meiner Schwester Ellen ein dünnes, bretthartes Päckchen erhielt. Zu meiner großen Überraschung steckte zwischen zwei festen Pappdeckeln ein Aquarell, das mein Vater in jungen Jahren gemalt hatte. Es war mir unbekannt, daß er sich jemals für Malerei interessiert hatte. Als Sujet hatte er sich ein eher unscheinbares Landschaftsstück ausgewählt: ein Bach, ein Baum, Wiesen, der Abendhimmel. Mein Vater erschien mir auf einmal liebenswerter, als ich ihn jemals in Erinnerung gehabt hatte. Ich beschloß spontan, ihn auf meinem Familienbild nicht alt und krank darzustellen, sondern als den jungen Mann, der dieses friedliche Bild gemalt hatte.

    Als Reinhard - früher als erwartet - heimkam, lag das großformatige Glas vor mir auf dem Küchentisch, Fotos waren ausgebreitet, auf meinen Zeichenblock hatte ich flüchtige Entwürfe mit verschiedenen Gruppierungen skizziert. Reinhard wußte noch nichts von meinem neuen Projekt. »Willst du jetzt Leonardos Abendmahl kopieren?« fragte er angesichts der Breitglaswand.
    Ich begann eifrig zu erklären.
    »Wie nett, daß ich auch dabeisein darf«, sagte Reinhard ironisch, »aber wo bleibt denn meine Verwandtschaft?«
    Leider hatte ich die vollkommen vergessen und mich ganz auf meine eigene Sippe konzentriert. Ich zählte an den Fingern ab: Ohne meine Onkel und Tanten waren es bereits dreizehn Personen, denen ich in unserem Garten einen Platz zuweisen mußte.
    »Es werden zu viele«, sagte ich.
    Reinhard verlor sofort das Interesse. »Wann gibt es Essen und wo hascht du die Unterschriftenmappe hingelegt?« fragte er.
    Am leichten schwäbischen Rückfall bemerkte ich, daß er gereizt war. Ich räumte sofort die Malutensilien weg und gestand, daß ich noch kein Wort getippt hatte. Hektisch begann ich zu kochen.
    »So geht das nicht mehr weiter«, sagte Reinhard schlecht gelaunt. »Ich werde mir eine professionelle Schreibkraft suchen müssen.«
    Obwohl mir das recht sein konnte, war es doch kränkend, daß er die Sekretärin nicht zu meiner Entlastung, sondern wegen meines mangelnden Einsatzes einstellen wollte. Doch er war noch nicht am Ende. Wieder mußte ich mir anhören, daß ich schon immer ein wenig hysterisch gewesen sei, aber jetzt unter einer ausgewachsenen Psychose leide. Mit versteinertem Gesicht hörte ich zu. Uraltes Schema, dachte ich, der Mann betrügt seine Frau, sie ahnt es dank ihres sechsten Sinnes, und er versucht, ihre Wahrnehmungen als Einbildung oder gar Geisteskrankheit abzutun. Er wird mir meine Verrücktheit so lange einreden, bis ich wirklich durchdrehe oder mir das Leben nehme, grübelte ich. Aber nicht mit mir! Ich erinnerte mich an den Film »Gaslicht« und Romane ähnlichen Inhalts und war vorgewarnt.

    Am nächsten Tag machte

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