Röslein rot
die Leute schon damals gesagt haben. Magdalena will sich nie mehr wegwerfen; ganz sittsam hat sie ihre Kette abgelegt. In samten-bräunliches Dämmerlicht gehüllt, zeigt sie ergeben ihre Reue und Bußbereitschaft.
Beim Anblick der Perlen war es um meine Ruhe geschehen, mußte ich an den Umschlag ohne Marken denken, den irgend jemand in unseren Briefkasten eingeworfen hatte.
Natürlich befühlte ich die unheilvolle Hülle, in der sich eine Botschaft für meinen Mann befand. Außer einem kleinen runden Gegenstand konnte ich nichts ertasten. Sollte ich den Brief öffnen? Das hatte ich bisher nie getan, aber es waren auch keine verdächtigen Sendungen bei uns eingetroffen. War es die gleiche Hand, die jetzt Für Reinhard persönlich und damals auf dem roten Herzen das kindliche I.L.D. geschrieben hatte?
Ich hielt es nicht mehr aus. Bevor die Kinder heimkamen oder gar Reinhard selbst, mußte ich handeln.
Den Umschlag an seiner geklebten Rückseite mit einem Federmesser zu öffnen, ohne dabei das feine Papier einzuritzen, war zu schwierig. Also hielt ich das Kuvert über Wasserdampf. Diese Methode kannte ich nur aus der Theorie und bezweifelte, daß sie auch bei Alleskleber funktionieren würde.
Zum Glück hatte die unbekannte Absenderin die Leimbeschichtung nur durch Lecken aktiviert, denn der Umschlag ließ sich nach wenigen Minuten mühelos öffnen. Eine Perle rollte heraus, aber leider kein kommentierender Liebesbrief.
Wer schenkte meinem Mann ein Schmuckstück? Symbolisierten Perlen das gleiche wie rote Rosen? Perlen bedeuteten Tränen, hatte meine Mutter einmal geäußert.
Sollte vielleicht eine verflossene Geliebte, der Reinhard die Perle während einer glücklichen Romanze geschenkt hatte, diesen jetzt überholten Liebesbeweis zurückgeben wollen? Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf, vor allem fragte ich mich, welche Strategie ich selbst verfolgen sollte. Den Umschlag wieder zukleben und ihn meinem Mann ganz harmlos auf den Schreibtisch legen, oder die Perle einstecken und kein Wort darüber verlieren?
Mitten in meine kummervollen Überlegungen hinein klingelte das Telefon. Ich nahm den Hörer ab und knurrte nur: »Ja?«
Es dauerte eine Sekunde, bis eine unsichere, fremde Stimme sagte: »Annerose, bist du das?«
Mir fuhr der Schreck durch alle Glieder: Jetzt ging meine Feindin zum direkten Angriff über.
Es war meine Halbschwester Ellen. Sie mache gerade mit der Volkshochschule eine Busreise und sei zufällig in unserer Stadt. Falls ich Zeit hätte, könnten wir uns in einem Cafe treffen; sie habe zwei Stunden zur freien Verfügung, bis man weiterfahre. Was blieb mir anderes übrig? Ich fuhr mit dem Wagen zum Marktplatz und holte sie zu uns nach Hause, denn ich wollte nicht abwesend sein, wenn die Kinder aus der Schule kamen. Um ehrlich zu sein, ich war auch neugierig.
Ellen hatte bereits graue Haare, die sie glatt und lang wie ein junges Mädchen trug. Es paßte nicht zu ihrer übrigen Aufmachung, einem hausbackenen wasserblauen Kostüm und Sandalen mit Fußbett. Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich Ähnlichkeiten mit unserem gemeinsamen Vater. Wir waren beide verlegen, aber sie freute sich offensichtlich, daß dieses spontane Treffen geklappt hatte. »Außer dir habe ich praktisch keine Verwandtschaft«, sagte sie. »Es ist doch schade, wenn man sich ganz aus den Augen verliert! Übrigens bist du unserem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten!«
Natürlich war der Augenblick ihres Besuchs denkbar ungünstig - ich mußte eilig für die Kinder kochen und hatte bloß Nudeln vorgesehen. Im übrigen hatte ich alles stehen und liegen gelassen, es sah liederlich aus. Unter linkischen Entschuldigungen führte ich sie in die Küche und suchte in der Speisekammer vergeblich nach einer Dose mit Pfifferlingen oder Muscheln, um die Spaghetti zu verfeinern. Ellen zeigte sich von unserem Häuschen begeistert, erbot sich freiwillig, aus den holzigen Radieschen einen Salat zu schnipseln, und nahm mir bald die übergroße Befangenheit.
Als die Kinder kamen, aßen wir einträchtig und unkompliziert in der Küche. Jost war begeistert, als die fremde Tante ihm zeigte, wie man die langen Nudeln blitzschnell mit der großen blauen Küchenschere zerkleinern konnte. Ich erfuhr, daß sie seit einiger Zeit Witwe war, vor kurzem ihre Reiselust entdeckt hatte und ihr Leben verändern wollte. Zum Abschluß kochte ich Kaffee. Ellen hatte es eilig, ich mußte sie bald zum Bus zurückbringen.
»Sieh mal«, sagte sie und
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