Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
hatte, habe ich Ihnen in jeder Montagnacht eine Blume geschenkt. Als Sie dann als Antwort den Rosenstock in Ihr Bürofenster stellten, spürte ich eine ganz große Nähe zwischen uns und wußte, daß alles gut wird.«
    Also hatte sie auch herausbekommen, wo Reinhard arbeitete, dieses verwirrte Kind. Eigentlich müßte man »du« zu ihr sagen, dachte ich; die Kleine tat mir leid. Reinhard verhörte sie weiter: »Und was war mit der Perle?«
    Imke hatte auf ein weiteres seiner Zeichen reagiert. Als sie ein bestimmtes Datum nannte, wurde ich nervös, denn es handelte sich um Josts Geburtstag; vor Anspannung mußte ich niesen.
    »Sie standen mit Ihrem Freund an der Haustür«, sagte sie, ohne auf Hintergrundgeräusche zu achten. »Er hielt einen kleinen Jungen an der Hand.«
    Das mußte Gottfried gewesen sein, der seinen Sohn Kai von unserer Kinderparty abholte.
    Sie fuhr fort: »Gerade als ich vorbeiging, sagten Sie unüberhörbar: >Das Mädchen ist eine Perle!<, und dabei haben Sie mich angesehen.«
    Reinhard überlegte und mußte schließlich schmunzeln. »Der Bekannte hat mich nach einer zuverlässigen Putzfrau gefragt, ich habe ihm Gülsun empfohlen...« Wie es seine Art war, schüttelte Reinhard mehrmals amüsiert den Kopf, murmelte: »Das darf doch nicht wahr sein« und fragte dann seine nächtliche Besucherin ein wenig aus.
    Wir erfuhren, daß sie seit einigen Monaten am anderen Ende unserer Straße wohnte. Weil sie in Weinheim eine gute Stelle gefunden habe, sei sie aus dem Elternhaus fortgezogen.
    Was für eine Stelle? wollte er wissen.
    Diätassistentin am Krankenhaus.
    Ich hielt den Moment für gekommen, mich wieder zu Reinhard und seiner Verehrerin zu gesellen. Obwohl ich als rechtmäßige Ehefrau auftrat, schien sie kein schlechtes Gewissen zu haben, sondern wendete mir höflich ihr ernstes Gesichtchen zu. Besonders gesprächig war sie nicht gerade, eher ein sogenanntes stilles Wasser. »Ich glaube, es ist Zeit, daß wir alle in die Betten kommen«, sagte ich nicht unfreundlich, aber mit der Autorität einer Familienmutter. »Morgen ist Montag, und wir müssen zeitig aufstehen.«
    Imke sprang sofort auf, lächelte Reinhard an, reichte uns ihre kleine zarte Hand und verschwand.
    »Na also«, sagte Reinhard, »eine harmlose kleine Spannerin!«
    »Wohl doch eher eine kleine Spinnerin«, erwiderte ich.
    Er sagte grinsend: »Du meinst wohl, wer in mich verliebt ist, muß zwangsläufig spinnen ...«, legte den Arm um meine Schulter und zog mich die Treppe hinauf ins Schlafzimmer.
    Ich achtete kaum auf einen feinen Alarmton im Hinterkopf, sondern war froh, endlich schlafen zu können.
    Am anderen Morgen sagte ich beim Frühstück zu Lara: »Holgers Ehre ist wiederhergestellt: Er war gar nicht dein Rosenkavalier!«
    »Woher weißt du das so genau?«
    »Weil der Papa letzte Nacht eine Frau erwischt hat, wie sie gerade ein Blümchen an seinen Scheibenwischer stecken wollte.«
    Beide Kinder spitzten neugierig die Ohren. Reinhard lag noch im Bett, er hatte beschlossen, heute etwas später ins Büro zu gehen, ein Privileg der Selbständigen, das er noch nie wahrgenommen hatte.
    »Warum macht die Frau das?« fragte Jost.
    Seine Schwester belehrte ihn unverzüglich: »Weil sie sich total in Papa verknallt hat!«
    Wir lachten alle drei.
    Mein Sohn machte sich wichtig. »Ich kenne sie!«
    Lara schnalzte begeistert und boxte ihn übermütig: »Vielleicht liebt sie gar nicht den Papa, sondern dich! Wie sieht sie aus?«
    »Die steht manchmal vor unserem Haus und glotzt so komisch«, sagte Jost, der häufig auf der Straße Fußball spielte.
    Zweifellos meinte er die richtige Person, denn das einzig Auffallende an Imke war dieser eindringliche Blick, der stets ein wenig zu lange verweilte.

    Als ich schließlich allein war, tippte ich zunächst alles, was Reinhard am Wochenende diktiert hatte, machte Betten, goß Blumen, wischte das Bad und füllte die Waschmaschine. Bei solchen Tätigkeiten hatte ich eine atemberaubende Schnelligkeit entwickelt, um möglichst bald damit fertig zu werden. Wie schön wäre es, wenn die Kinder in der Schule essen könnten! Aber kaum war ich sie los, hatte meine Hausarbeit beendet und könnte eigentlich mit dem Malen beginnen, da standen sie bereits wieder hungrig vor der Tür. Ich schob eine Fertigpizza in den Backofen und tiefgefrorene Erbsen in den Mikrowellenherd.
    Als ich die Post aus dem Briefkasten holte, war ein Brief von Imke dabei. Sie mußte ihn noch tief in der Nacht geschrieben und auf

Weitere Kostenlose Bücher