Röslein rot
ich nach dem Einkaufen einen kleinen Abstecher in die Straße, in der Reinhards Büro lag. Meistens rief er an, wenn er auf eine Baustelle mußte, weil er dann das Telefon zu uns nach Hause umstellte. Wenn ich einkaufen ging, schaltete ich den Anrufbeantworter ein.
Sein Wagen stand auf der Straße, er saß also am Schreibtisch, wie ich erwartet hatte. Unterm Scheibenwischer klemmten keine Blumen oder geheimnisvollen Botschaften. Aber als ich hinauf zum ersten Stock schaute, wo sich das Arbeitszimmer befand, entdeckte ich ein Zwergrosenstöckchen auf dem Fensterbrett, das nicht von mir stammte. Konnte es eine harmlose Erklärung dafür geben? Ich wollte fair bleiben und ihm nicht wieder durch unbewiesene Anklagen auf die Nerven gehen.
Reinhard selbst kaufte nie Blumen, weder Sträuße noch Topfpflanzen. Er war der Meinung, daß es in der freien Natur genug Blumen zum Pflücken gebe. Im übrigen wütete er gelegentlich im Garten, riß hier eine Staude aus, stutzte dort einen bedauernswerten Baum, pflanzte Tännchen, die er aus dem Wald mitbrachte und die meinen einjährigen Sommerblumen die Sonne stahlen. Vor allem verschandelte er mit nußbraunen Palisaden, Pergolen, grünen Jägerzäunen oder Treppen aus Eisenbahnschwellen die gewachsene bäuerliche Struktur. Wenn ich maulte, war er beleidigt. Ich solle doch froh sein, daß er mir die schwere Gartenarbeit abnehme.
Wenn mich Lucie besuchte, hatte sie Verständnis für meine Probleme. Auch Gottfried schien in ihrem Garten Unheil anzurichten, seit er eine Vorliebe für exotische Pflanzen entdeckt hatte. Seine erschnorrten oder aus dem Urlaub mitgebrachten Ableger waren in der Regel Gewächse, die sich in unserem Klima nicht wohl fühlten, erfroren, vertrockneten oder wie kränkliche Kinder dahinkümmerten. Gottfried vertrug ebenfalls keine Kritik, sondern wollte für sein unerwünschtes Wirken gelobt oder gar belohnt werden.
Anders unsere Freundin Silvia: Sie führte unbestritten das Regiment. Wenn sie an sonnigen Wochenenden nicht auf dem Pferd, sondern im Garten saß, hörte man sie mit lauter Stimme das Kommando führen: »Udo, die Geranien müssen gedüngt werden! Im Sommer gehört das Vogelhäuschen in den Keller! Udo, im Kräuterbeet wachsen ja Brennesseln!« Wahrscheinlich war Udo durch seine ewige Herzensbrecherei so schuldbeladen, daß er sich Bestrafung wünschte.
Doch was will man machen, es ist einfach unmöglich, daß zwei Menschen ihren persönlichen Geschmack auf denselben paar Quadratmetern verwirklichen und sich über den dazu nötigen Kraftaufwand friedlich einigen. Wahrscheinlich war es schon im Paradiesgärtlein zu Kontroversen gekommen, ob man lieber Boskop oder Cox Orange, Glockenäpfel oder Golden Delicious anbauen sollte. Ständig gellte es durch den stillen Garten Eden: »Wie kann man nur so einen beschissenen Geschmack haben!« — »Dir kann es ja keiner recht machen!« Ich nehme an, daß der liebe Gott in seinem klösterlichen Frieden gestört wurde und deswegen die Vertreibung anordnete; der Sündenfall als solcher war sicherlich nur ein Vorwand, um das streitende Paar loszuwerden.
Mein Adam hatte also einen Rosenstock am Fenster seines Arbeitszimmers. Ich hatte mich seinerzeit um eine Begrünung des Büros bemüht, die mit wenig Pflege auskam: dickblättrige Topfpflanzen, kaum totzukriegen. Woher also kam und was hatte dieses anfällige, symbolträchtige Pflänzchen zu bedeuten? Der Gedanke trieb mich um, bis ich mich wie aus Versehen vor jenem Lokal wiederfand, von dem die geheimnisvolle Rechnung aus Reinhards Brieftasche stammte. Ich hatte noch nie dort gegessen.
Es schien ein teures Restaurant zu sein. Vor dem Eingang leuchtete schon von weitem eine gebogene sonnengelbe Markise, Lorbeerbäumchen standen wie kleine Pagen vor der Tür. Ich bremste, erspähte einen Parkplatz und stieg aus. Ganz beiläufig schlenderte ich näher und las die außen angebrachte Speisekarte. Es gab gebratene Austernpilze mit Rucola, hausgemachte Ravioli gefüllt mit Basilikum, Steinbeißer an Safransauce und ähnliche Leckerbissen. Mir lief zwar das Wasser im Mund zusammen, aber einen Seniorenteller konnte ich nicht entdecken. Hatte ich mich geirrt? »T-Bone« und »Sen.T.« hatte Reinhard bezahlt. Beim Steak wurde ich fündig, aber der Seniorenteller entpuppte sich als Mißverständnis.
Obwohl ich eigentlich längst wieder zu Hause sein wollte, betrat ich das Lokal und bestellte einmal Senator-Topf. Es war eine köstliche Komposition aus verschiedenen
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