Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
Ängste, er sei mir untreu, als unbegründet erwiesen hatten. Also belästigte ich ihn nicht mit Gottfrieds Fachbüchern, er hatte ohnedies genug zu tun mit meinen Ticks und sollte lieber mal wieder volltanken gehen, ich brauchte das Auto.

    Am Dienstag begann ich endlich wieder zu malen. Ganz im Vordergrund sollten die Kinder auf einer Wiese sitzen, Lara in einem Sommerkleid mit Rüschen, das sie nicht besaß, weil es Silvias Tochter noch paßte. An ihrer Seite Jost mit einem Meerschwein auf dem Arm, das er meinetwegen nicht besitzen durfte. Aber da gab es noch ein weiteres Kind - meinen Bruder Malte, einjährig bereits verstorben. Sollte ich ihn ebenfalls vorn aufs Bild bringen, als gehöre er in die Generation meiner Kinder? Eigentlich war er ihr Onkel. Hoffentlich schickte meine Mutter bald Maltes Foto, damit mir eine erkennbare Ähnlichkeit gelang.
    Tatsächlich lag ein Brief meiner Mutter im Kasten, leider aber auch einer von Imke. Ohne zu zögern schrieb ich mit rotem Filzstift auf den Umschlag: Annahme verweigert, zurück an den Absender. Aber der Brief war nicht mit der Post gekommen - wie konnte ich da die Annahme verweigern? Sollte ich eine Briefmarke daraufkleben? Es waren höchstens hundert Meter bis zu ihrer Wohnung, und sie war um diese Zeit sicherlich nicht zu Hause. Ich zog also den Malkittel aus und lief los; besser, die Sache wurde sofort erledigt.
    Vor unserem Haus stand die Mülltonne weit offen, Reinhard hatte wieder einmal seinen Papierkorb ausgeleert, ohne Rücksicht auf die ordentliche Trennung von Glas, Bioabfällen und Papier. Seufzend holte ich das Sortieren nach.

    Wenige Minuten später befand ich mich vor einem langweiligen Mietshaus für sechs Parteien; in der Mansarde wohnte Imke. Als ich gerade den Brief in ihr Fach warf, trat eine ältere Frau mit einem Putzeimer aus der Haustür. »Zu wem möchten Sie?« fragte sie.
    »Nur einen Brief einwerfen«, sagte ich, nahm aber die Gelegenheit wahr, um zu fragen: »Kennen Sie die junge Frau, die ganz oben wohnt?«
    »Ja, das ist Imke, die einzige außer mir, die immer anständig die Treppe wischt, wenn sie an der Reihe ist.«
    Wir lächelten uns verschwörerisch zu, wir Hausfrauen unter uns. Dann beeilte ich mich, wieder an meinen Küchentisch zu kommen, wo die Malsachen auf mich warteten.
    Aber da sah ich Gottfrieds Psychologiebuch auf der Anrichte liegen und zögerte nicht, mich in dieses zu vertiefen.

Bienenstich

    »Narzissus und die Tulipan, die ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide«, heißt es in Paul Gerhardts Lied von der lieben Sommerzeit, obgleich es sich um Frühlingsblumen handelt. Beim Betrachten eines gemalten Blumenstücks von Roelant Savery offenbart sich ebenfalls, daß keine noch so fein gesponnene Seide mit der Schönheit natürlicher Frühlingskinder konkurrieren kann. Weiße Narzissen, gelbe Iris und blaue Schwertlilien, seltsame Schachbrettblumen, rosa Pfingstrosen, Teerosen und viel frisches Grün sind zu einem farbenfrohen, aber keineswegs grellbunten Strauß gewunden. Weit geöffnete Blumenaugen schauen uns an, die in ihrer verletzlichen Arglosigkeit an die weltfremde Naivität einer Unschuld vom Lande erinnern.
    Das Interesse des Malers gilt sowohl den verschiedenen botanischen Gattungen als auch den Kleinlebewesen, die sich in allen Ecken des Gemäldes tummeln. Gleich auf der untersten Kante des Holztisches reiht sich ein bunter Reigen aus Blumen und Tieren aneinander: eine pelzige Honigbiene, eine Smaragdeidechse, ein abgefallenes Stiefmütterchen, eine Heuschrecke, die zarte Blüte einer blaßblauen Jungfer im Grünen und am Ende ein mir liebes Mäuslein. Auch im Gewinde des Straußes entdeckt man Raupen, Schmetterlinge, winzige wilde Bienen und Käfer.
    Eine Allegorie auf den Frühling? Oder auf die Vergänglichkeit? Eine Hymne an die Schönheit, das Leben, den Schöpfer? Steht die Nützlichkeit der Biene im Gegensatz zur Heuschreckenplage, beide Merkmale einer alles beherrschenden Natur?
    Hier triumphiert das gleiche barocke Lebensgefühl wie im Sommergesang: >Geh aus, mein Herz, und suche Freud!<. Parallel zum Blumenbild wird auch bei Paul Gerhardt das Füllhorn von Fauna und Flora ausgeschüttet, selbst die Kerbtiere finden lobende Erwähnung: »Die unverdroßne Bienenschar fliegt hin und her, sucht hier und da ihr edle Honigspeise.«

    Schon als Kind liebte ich Insekten, auch die stechenden Bienen konnten mir kein Unbehagen bereiten. »Emsig wie ein Bienchen«, »bienenfleißig« - alles gute

Weitere Kostenlose Bücher