Röslein rot
kleinen Filets, einer Sauce bearnaise und grünem Spargel auf frischem Toast. Seit ich verheiratet war, hatte ich noch nie eine so kühne Tat begangen, mutterseelenallein in der Mittagszeit essen zu gehen. Inzwischen waren die Kinder wohl schon zu Hause. Sollten sie warten, ich orderte noch einen in Zucker getauchten Riesenteller mit gemischtem Dessert und tropischen Früchten. Natürlich war solcher Luxus für Reinhard nichts Besonderes; sicher war er mittags häufig hier anzutreffen. Mein liebevoll geschmiertes Butterbrot hatte ich neulich im Mülleimer gefunden, und zwar nicht beim Bioabfall, sondern in der Tonne für Papier, was mich besonders kränkte.
Als ich schließlich gut gestärkt heimkam, waren Lara und Jost bereits beim Kochen. Die Tomatensauce blubberte spritzend vor sich hin, während der Reis ohne ausreichendes Wasser dicklich anbrannte.
Katzentisch
Manchmal weiß man genau, wie man sich richtig verhalten sollte, und handelt trotzdem ganz anders. »Wer hat dir das Rosenstöckchen geschenkt?« fragte ich Reinhard unverblümt.
»Wie, wo, was?« sagte er, um Zeit zu gewinnen. Schließlich bequemte er sich, zuzugeben, daß er Familie Fuhrmann zum Einzug Glück gewünscht und eines ihrer vielen Blumenpräsente mitbekommen habe. »Für Ihre Frau«, habe Herr Fuhrmann gesagt. Aber da Reinhard angeblich wußte, daß ich ihm daraus wieder einen Strick drehen würde, habe er den Topf im Büro stehenlassen.
»Und das soll ich dir glauben!« schrie ich.
Reinhard sprang auf und lief zum Telefon, um auf der Stelle bei Fuhrmanns anzurufen. Sie sollten mir persönlich bestätigen, wie die Blumenübergabe erfolgt sei.
Entsetzt riß ich ihm den Hörer wieder weg. Fuhrmanns waren wichtige Kunden, die überdies eine größere Rechnung noch nicht bezahlt hatten.
»Die halten mich doch für krankhaft eifersüchtig oder gar für übergeschnappt!« rief ich, denn peinlicher konnte es kaum werden.
Reinhard meinte: »Du sagst es.«
Es war Sonntag abend, an dem die Familie immer in Ruhe gemeinsam beim Essen saß. Obwohl unser Streit schon eine Stunde zurücklag, sprach Reinhard immer noch kein Wort mit mir. Er nahm seinen gefüllten Teller, ließ mich mit den Kindern in der Küche sitzen und begab sich ins benachbarte Wohnzimmer. Dort drehte er den Fernseher an, um sich kauend die Nachrichten anzuschauen.
»Uns erlaubt er nie, beim Essen fernzusehen«, maulte Lara.
Aus dem Nebenzimmer tönten für die Kinder völlig unverständliche Worte: »Was Jupiter darf, ist dem Ochsen noch lange nicht gestattet!«
Lara tippte sich an die Stirn.
»Papa war unartig und muß am Katzentisch sitzen«, sagte Jost ziemlich frech.
Ich sah ihn so böse an, daß er verstummte.
Auch auf einem Gemälde von Jeremias van Winghe ist sozusagen ein Katzentisch dargestellt. Eine geortete Tür gibt den Blick in den abgedunkelten Hintergrund frei, wo vier Gäste in der Wirtshausstube zechen. Das geschäftige Treiben findet jedoch vor unserer Nase im vollen Mittagslicht statt; eine eßbare Menagerie ist auf dem großen Küchentisch versammelt, allerdings nicht mehr in lebendigem Zustand. Bereits servierfertig angerichtet ruht eint geräucherte Makrele auf einem runden Tablett, ein Glas ist bereits mit Wein gefüllt. Auch ein gekochter Fisch, garniert mit Schalotten und Zitrone, scheint nur auf den Zugriff der Kellnerin zu warten. Farbe und Bedrohlichkeit bringt ein riesiger roter Hummer ins Bild, umgeben von rötlichen Krebsen. Der Mörser aus Messing blitzt, die appetitlichen Oliven im Schälchen laden zum Zugreifen ein. Mit kräftigen Armen stemmt eine junge Magd die Innereien eines Ochsen - Lunge, Herz und Luftröhre - auf das Schneidebrett, wo schon ein ausgenommenes Huhn und ein Gewürztütchen liegen. Ein saftiger Wirsing, eine Salatgurke, Weißbrot und eine halbe Schafseite harren auf Verwertung. Vom Eifer und Herdfeuer sind die Wangen der jungen Frau gerötet, auf ihren Lippen liegt ein leichtes Lächeln. Sie ist wie ein ländliches Märchenkind gekleidet, in schwarzem, vorn geschnürtem Mieder, die weißen Hemdärmel für die blutige Metzelarbeit aufgekrempelt. Ihr roter Rock korrespondiert mit dem kapitalen Hummer. Wie soll das fleißige Bauernmädchen alles gleichzeitig im Griff haben? Zu allem Überfluß darf sie kein Auge von der hungrigen Katze lassen, die mit geschickter Tatze nach dem Hammeltalg langt. Das Kätzchen ist das einzige Tier, das nicht für eine Mahlzeit vorgesehen ist, sondern selbst fressen möchte; es ist
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