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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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vor, daß ich die hintere Wagentür offengelassen hätte, so daß der Kleine herauspurzelte. Ich dagegen bin der Meinung, daß er nicht aufgepaßt hatte, aber Schuldzuweisungen können kein Kind wieder lebendig machen. Annerose, etwas Schlimmeres kann es für Eltern nicht geben, als den einzigen Sohn zu verlieren!«
    »Außer der großen Pleite, als Ersatz nur ein Mädchen zu bekommen«, sagte ich bitter.
    Mutter reiste am nächsten Tag wieder ab, zum Abschied brachte sie kaum ein Wort heraus. Es tat mir zwar leid, daß sie fuhr, aber letzten Endes war es besser so. Denn so blieb ihr wenigstens mein eigenes Unglück erspart, das sich deutlich anbahnte.
    Reinhard fand, daß ich mich völlig falsch verhalten hatte. Erstens hätte ich Mutter mein Hinterglasbild nicht zeigen, zweitens nichts von Ellen erzählen und drittens nicht über Maltes Tod mit ihr sprechen sollen. »Man darf alte Wunden nicht aufreißen«, sagte er. »Das ist so überflüssig wie ein Kropf. Was hast du nun davon? Eine alte, vereinsamte Frau ist unglücklich...«
    Ich hielt meine Mutter keineswegs für zu alt, um endlich ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Wir stritten uns heftig. Das Klischee von der innigen Freude eines Ehemannes über die Abreise der Schwiegermutter galt in unserem Fall überhaupt nicht. Reinhard und meine Mutter waren Verbündete, und zwar gegen mich.
    Immer wenn Reinhard und ich uns wegen irgend etwas in die Wolle gerieten, kam am Ende die Sprache auf Imke. Ich sei krankhaft eifersüchtig, warf er mir stets aufs neue vor. »Sieh mal, wenn ich sogar deiner Mutter diese Briefe vorlese, dann ist das doch ein eindeutiger Beweis für mein reines Gewissen. Aber du kannst es einfach nicht ertragen, wenn mich ein nettes junges Mädchen anhimmelt! Sie hat zwar eine kleine Meise, aber was ist schon dabei...«
    Ich unterbrach ihn scharf. »Ja, wenn du ein Popsänger oder ein Hollywoodstar wärst, dann fiele das alles in den Bereich jugendlicher Schwärmerei. Aber du bist ein stinknormaler Familienvater, durchschnittlicher geht's gar nicht. Imke hat sich einen Menschen erfunden, der nichts mit dir zu tun hat. Sie ist einsam und träumt sich eine Liebesgeschichte zusammen. Darauf solltest du dir nichts einbilden. Und eifersüchtig bin ich wirklich nicht, ich sorge mich um die Kleine...«
    »Hahaha«, machte Reinhard.
    Ich versuchte ein zweites Mal, mit Imke vernünftig zu reden, damit sie aufhörte, sich weiter eine Romanze einzubilden.
    Sie war sich aber Reinhards Zuneigung vollkommen sicher. »Ihr Mann hat meine Welt verändert. Wenn alles in meinem bisherigen Leben ein Irrtum war«, sagte sie ernsthaft, »diese Liebe ist es nicht. Wir retten uns gegenseitig aus dem dunklen Tal des Leidens.«
    »Und was ist eigentlich mit mir?« fragte ich.
    Imke sah mich an und überlegte. »Sie haben doch zwei Kinder«, meinte sie dann tröstlich. »Ich bin einundzwanzig Jahre und hatte noch nie einen Freund; im Grunde habe ich überhaupt nichts.«
    Vielleicht zweifelte sie aber doch an dieser Verteilung, denn sie wurde ein wenig verlegen und verabschiedete sich mit der Floskel: »Einen schönen Tag noch!«

    In einem solchen Fall ist es gut, Freunde zu haben. Silvia schied aus, aber Lucies Gottfried konnte ich vielleicht unter dem Vorwand konsultieren, das geliehene Buch zurückzubringen. Lucie arbeitete im Garten, die Kinder lärmten. Gottfried war bereits zu Hause, saß im Liegestuhl und las. Die Gelegenheit war günstig. »Ich bringe dir dem psychotherapeutisches Buch zurück«, sagte ich. »Es war höchst interessant. Lucie hat dir sicherlich von unserem Problemfall erzählt...«
    Er nickte freundlich. »Was ich gerade lese, paßt seltsamerweise auch zum Thema«, sagte er. »Liebesbriefe an Adolf Hitler. Man soll es nicht für möglich halten, was Frauen da zu Papier gebracht haben! >Mein lieber zuckersüßer Adolf< schreiben sie zum Beispiel. Lustig ist das nur für simple Gemüter, ich kriege eine Gänsehaut. Es sind aber nicht nur einsame oder unbedarfte Frauen, die durch widerliche Manipulation dem Führerkult erlagen, es sind offensichtlich auch regelrecht pathologische Fälle von Liebeswahn darunter. Das klingt dann etwa so: >Du gibst mir im Rundfunk so viel zu verstehen, jedes Zeichen erkenne ich.< Man könnte das mit einer heutigen Zuschauerin vergleichen, die wahnhaft glaubt, der Fernsehansager würde ihr tatsächlich in die Augen blicken.«
    »Ich habe gelesen, daß Liebeswahn vorwiegend bei Frauen vorkommt«, sagte ich.
    Gottfried

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