Röslein rot
gelassen.«
»Sagt ihr du zueinander?« fragte ich.
»Nein«, meinte Reinhard, »eigentlich nicht.« Er schwieg. Schon hatte ich die Hoffnung aufgegeben, daß er seine Beichte fortsetzen würde, als er weiterschimpfte: »Seit wir verheiratet sind, wird mir Treulosigkeit vorgeworfen, dabei war ich fast immer... Im Grunde ist es doch ganz egal, wie ich mich verhalte, die Strafe kriege ich so oder so.«
Jetzt fing ich an zu toben. »Was hast du getan?« schrie ich.
»Andere Männer hätten das schon längst getan«, sagte Reinhard grob, »nur ich war immer zu feige. Einmal tüchtig durchgevögelt, und so ein Gänschen ist kuriert.«
Ich konnte es kaum fassen: »Das darf doch nicht wahr sein!«
Reinhard stampfte wütend auf einer Mandarine herum. »Hättest du mich nicht immer beschuldigt! So etwas bringt einen Mann erst auf Ideen! Alle anderen...«
Ich wurde so böse, daß ich aufsprang und ihm eine Ohrfeige verpaßte. Wir hatten uns noch nie geschlagen, jetzt erhielt ich einen Tritt gegen das Schienbein, daß ich hinfiel.
Reinhard stürmte hinaus. Ich blieb liegen und weinte: um Imke, um unsere Ehe, um mich selbst.
Schneckenhaus
Männer in leitenden Positionen, wie zum Beispiel Udo, haben einen anderen Bezug zur Realität als eine ganz normale Hausfrau. In ihrem ganzen Leben haben sie keine Windeln gewechselt, waren kaum im Supermarkt einkaufen, wissen nicht, was es bedeutet, nach Weihnachten den Backofen sauberzukriegen. Dafür kennen sie die aktuellen Aktienkurse, den Wert einer tüchtigen Sekretärin und lesen mit Akribie die politischen Beiträge im SPIEGEL . Reinhard gehörte nicht zu dieser Kategorie; durch Elternhaus und Ausbildung war er zupackende Betätigung gewohnt. Dafür war ihm wiederum unbekannt, was eine kompetente Sekretärin verdient. Ich beschloß an jenem verhängnisvollen Abend, meine Dienste als Schreibkraft in Zukunft zu verweigern.
In der schlaflosen Nacht nach unserem großen Krach stellte ich mir vor, wie Lara und Jost das Fehlen ihres Vaters beim Frühstück kommentieren würden. Außerdem mußte ich daran denken, daß Reinhard vor kurzem statt der geplanten Spülmaschine ein schwarzes Ledersofa fürs Büro gekauft hatte, weil in letzter Zeit häufig eine ganze Familie käme, so daß die Stühle nicht ausreichten. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß unsere Kunden ihre Kinder zum Architekten mitnahmen. Sicherlich war das Sofa Teil eines langfristig geplanten Seitensprungs. Ich begann dieses Möbelstück zu hassen.
Gerade als ich am anderen Morgen ins Bad wollte, stellte sich Reinhard unrasiert und ungewaschen wieder ein. Wortlos räumte ich das Feld. Wie ein Gespenst nahm er am Frühstück teil und trank hinter der schützenden Zeitung ein Schlückchen Kaffee. Ich konnte ebensowenig essen wie er. Als die ahnungslosen Kinder das Haus verlassen hatten, blieb er sitzen. Ich erwartete einen Rundumschlag seinerseits und meine notgedrungene Forderung nach einer Scheidung.
Aber Reinhard wollte teils bedauert werden, teils sich rechtfertigen. Dieses scheue Mädchen habe ein so widersprüchliches und verwirrendes Verhalten an den Tag gelegt, daß er alles gründlich fehlinterpretiert habe. Man müsse als Mann doch davon ausgehen, daß eine moderne Frau, die abends bereitwillig mit ins verlassene Bürozimmer komme, eindeutige Absichten verfolge.
Und wer könne ahnen, daß eine Einundzwanzigjährige noch nie einen Freund gehabt habe, wo sie doch heutzutage alle schon mit fünfzehn...
Ich sagte kein Wort.
Er deutete es zwar nur an, aber ich hatte es geahnt: Imkes Gastspiel auf dem schwarzen Ledersofa war ein einziges Mißverständnis. Sie geriet in Panik, schrie sich die Lunge aus dem Hals und verschanzte sich auf der Toilette. Um ihre permanenten schrillen Hilferufe - bei geöffnetem Fenster - zu unterbinden, mußte Reinhard schließlich die Tür eintreten. »Wie soll ich das dem Schreiner erklären«, seufzte er. In vollkommen kopflosem Zustand habe Imke versucht, sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern aufzuschneiden.
Ich wollte eigentlich nicht unterbrechen, fragte aber doch: »Woher hatte sie die Klinge?« Reinhard rasierte sich nämlich elektrisch.
Gülsun habe Ölfarbenspritzer, die vom Streichen der Fensterrahmen herrührten, von den Kacheln gekratzt und die Rasierklinge zur weiteren Verwendung auf der Fensterbank liegengelassen. Reinhard gab den Vorwurf, noch ehe ich ihn äußern konnte, sofort an mich zurück: »Wenn du dir die Mühe gemacht hättest, gelegentlich nach dem
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