Röslein rot
als ich, in ein graues Regencape gehüllt, die kleineren Zweige mit der Rosenschere abtrennte und in einen Plastiksack stopfte. Den Rumpf und die großen Extremitäten mußte ich mit der Axt zerkleinern. Es war eine Tätigkeit, die mich den ganzen Morgen über ins Schwitzen brachte. Ich schaffte es aber, noch vor dem Mittagessen alle Säcke im Kofferraum des Autos zu verstauen. Später wollte ich sie zur Kompostieranlage fahren.
Wieder saß ich grübelnd vor Familienfotos. Wie unbequem mußte es für meine Urgroßmutter gewesen sein, einen Pelzkragen, der den Hals eng umschloß, über einem wollenen Tuchkleid zu tragen! Die langen Streifen des Platinfuchses baumelten über Taille, Bauch und Oberschenkel, die Schwänze endeten kurz vor den Füßen. Sollte ich dieser majestätischen Gestalt auf meinem Familienbild einen Platz einräumen? Doch da mußte ich an Silvia denken. Ihr Faible für Eleganz hatte sie wohl von unserer gemeinsamen Urgroßmutter - und an Silvia sollte mich dieses Bild nun wirklich nicht erinnern. Sinnend betrachtete ich mein unvollständiges Werk, als sich plötzlich Reinhard zwischen mich und mein Gemälde schob. »Weg da, du bist nicht aus Glas«, sagte ich eher scherzhaft.
Aber ihm war nicht nach Spaß zumute, das sah ich an seinem finsteren Gesicht. »Seit wann sind die Tannen abgeholzt?« fragte er.
So schnell hatte er es bemerkt! Leugnen half wohl nichts; ich gab zu, daß mir die Nadelbäume schon immer im Weg gestanden hatten.
Reinhard sah mich mit einem Blick an, der mein Blut gefrieren ließ. »Das da«, sagte er und packte mein Bild, »steht mir auch schon lange im Weg!« Er ließ mich mit den Scherben allein.
Doch schon betraten die Kinder die Bühne. »Hat Papa dein Bild kaputtgemacht?« fragte Lara, weil sie die Haustür ins Schloß hatte knallen hören.
»Aber nein«, sagte ich, und Tränen liefen mir übers Gesicht. »Es ist mir hingefallen, Papa kann nichts dafür.«
Jost tröstete: »Ich besorge dir eine neue Scheibe!«
»Doofkopp«, sagte Lara, »sie heult doch nicht wegen dem Glas, sondern wegen der ganzen Arbeit und der Kunst! Mama, am besten malst du in Zukunft auf Papier, dann kann nichts passieren.«
Ich legte den Arm um meine Kinder, was sie jedoch zum Anlaß nahmen, auf die baldigen Ferien hinzuweisen.
»Susi fährt nach Kanada«, sagte Lara, und Jost führte ebenfalls attraktive Reiseziele auf.
»Allmählich müßt ihr euch mal Gedanken machen«, sagte Lara, »sonst kriegt ihr kein Ferienhaus mehr. Was meint denn Papa dazu?«
»Fragt ihn doch selbst«, schluchzte ich, denn ein gemeinsamer Urlaub kam mir im Augenblick wie ein absurder Traum vor.
Jost legte die Scherben des Familienbildes wie ein Puzzle auf dem Küchenboden aneinander. »Ich kann es kleben«, schlug er vor.
Ich schüttelte den Kopf, ich mochte keine gekitteten Brüche, die immer wieder an das Unglück erinnerten.
»Sieh mal«, sagte er, »Lara und ich sind kaputt, aber die Oma und der fremde Junge sind noch fast ganz. Darf ich die haben?«
Ich nickte, sammelte die Bruchstücke auf und wollte sie in den Mülleimer werfen. Aber aus einem ähnlichen Impuls heraus wie Jost legte ich vorher die Kinderscherben auf ein Tablett und schob es ganz oben auf den Küchenschrank.
Wie ich es geahnt hatte, stand die nächste Zeit im Zeichen einer erneuten Krise: Wir sprachen fast nur in Gegenwart der Kinder einige belanglose Worte. Reinhard ließ sich möglichst wenig zu Hause blicken, und wir gingen uns aus dem Weg. Nachts lagen wir nebeneinander, drehten uns jedoch die Rücken zu. Ich fürchtete, daß er Trost bei Birgit fand.
Als der Reithallentermin anstand, konnte ich davon ausgehen, daß in den nächsten zwei Stunden niemand in Reinhards Büro sein würde. Die Kinder waren mit ihrer Klasse zu einem Wandertag aufgebrochen, ich brauchte nicht zu kochen und konnte das Haus verlassen. Mit dem Schlüssel aus Reinhards Sekretär öffnete ich die Bürotür und inspizierte als erstes mit äußerstem Argwohn das Ledersofa; wie erwartet, stellte es sich dumm.
Das Rosenstöckchen am Fenster brauchte Wasser, ich konnte nicht umhin, es zu gießen. Als ich mich dann an den Schreibtisch setzte, um eine Schublade nach der anderen aufzuziehen, sah ich sofort ein fremdes Fotoalbum vor mir liegen. Es gehörte offensichtlich Birgit. Ein Lesezeichen markierte die Seite, auf die es ankam: Bilder aus der gemeinsamen Studienzeit. Reinhard, Mia und Birgit - alle drei lachend von einer Neckarbrücke herunterwinkend, mit
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