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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Kaffeewasser aufgesetzt und eine zarte Knospe aus dem Garten gepflückt. Mit dem nicht ganz neuen Spruch »Eine Rose für Annerose« wurde sie mir überreicht. Sekundenlang bildete ich mir ein, das sei der Anfang neuen Glücks.

    Am gleichen Tag brachte Reinhard abends die zur Unterschrift vorgelegten Schriftsätze mit. Ich war darauf gefaßt, alles noch einmal abtippen zu müssen. Aber Birgit hatte vorzügliche Arbeit geleistet, wobei sie natürlich den PC ihres Mannes benutzte und nicht - wie ich - eine altmodische Schreibmaschine mit Karbonband. »Neue Besen kehren gut«, mußte ich zugeben. »Was zahlst du ihr denn dafür?«
    Reinhard wußte es nicht, sie hatten sich bisher um diesen Punkt gedrückt.
    Als das Telefon klingelte, war es Silvia, die euphorisch »Good news!« kreischte. »Wir können im Herbst mit dem Bau beginnen!«
    Wieso, sie hatten doch schon längst ein Haus?
    Nein, es handele sich endlich, endlich! um die neue Reithalle. Reinhard solle Tattersall und Klubhaus entwerfen, alles von feinster Qualität.
    Ich rief ihn herbei.
    Reinhard war geradezu beglückt. »Das ist eine Herausforderung!« meinte er. »Etwas Derartiges habe ich noch nie gebaut. Und die Auftraggeber besitzen Geld genug, damit es eine solide Sache wird.«
    Er verabredete sich mit Silvia und dem Vorstand des Reitvereins zu einem Lokaltermin. »Darf Anne auch mitkommen?« fragte er.
    Ich machte ein ablehnendes Zeichen, da Pferdeställe und Allergien schlecht zueinander passen.
    Schließlich holte Reinhard eine Flasche Wein aus dem Keller - sonst bevorzugte er Bier - und trug sie in den Garten, wo ich an diesem sommerlichen Abend den Tisch gedeckt hatte. Er stieß mit mir und den Kindern an. »Auf das Ende der Fehde«, sagte er.
    »Welche Feder?« fragte Jost.
    Ich hatte das Gefühl eines großen Mißverständnisses, war aber angesichts neugieriger Kinderohren unfähig zu einer entsprechenden Formulierung. Durch einen spitzen Schrei von Lara wurde das Thema ohnehin gewechselt: Eine Wespe zappelte in ihrem Apfelsaftglas.
    »Gehst du heute nicht zum Tennis?« fragte ich. Reinhard hätte es beinahe vergessen und fand es ausgesprochen aufmerksam von mir, ihn daran zu erinnern.
    »Dr. Kohlhammer wäre sicher beleidigt, wenn er vergeblich warten müßte!«
    Zum Malen war ich zu müde. Ich saß noch eine Weile mit den Kindern im Garten und ließ mir erzählen, daß sie in den Sommerferien im Grand Canon klettern oder vierzehn Tage lang ins französische Disneyland fahren wollten.
    »Mit euch zusammen«, versicherte Lara.
    »Zu teuer«, sagte ich. »Vielleicht bringe ich euch zu Oma.«
    Jost schlug vor: »Dann lieber in den Freizeitpark nach Haßloch, da leben echte Zwerge in winzigkleinen Campingwagen. ..«
    Dabei fiel Lara ein, daß es im Fernsehen einen wahnsinnig interessanten Dokumentarfilm über die Paralympics gebe, und beide Kinder liefen ins Haus.
    Mit im Schoß verschränkten Händen saß ich untätig und still auf der hölzernen Bank. So einfach ist das für die Männer, dachte ich, einmal ins Bett, und alles ist wieder im Lot. Eine Amsel flötete melodisch ihr Abendlied vom Kirschbaum herunter. Es war ein wenig schwül; war ich deswegen so gereizt und unzufrieden? Ich war noch keine Vierzig und besaß fast alles, was ich mir als junge Frau gewünscht hatte - zwar keinen Beruf, aber eine Familie ein Haus, einen Garten. Mein Blick fiel auf eine riesengroße Brennesselpflanze, die sich mitten unter Eisenhut und Taglilien breitgemacht hatte. So ähnlich sieht es mit meinem Eheglück aus, dachte ich, streifte mir die Gartenhandschuhe über, riß den Eindringling mit aller Kraft aus der Erde und fühlte mich besser. Angriffslustig blickte ich in die Runde. Reinhards geliebte Tännchen, die er vor ein paar Jahren aus dem Wald entwendet hatte, bedrängten meine Rosenstöcke. Ich hatte die düsteren Nadelbäume bereits als Setzlinge gehaßt, inzwischen waren sie größer als unser Sohn. Ob es Reinhard überhaupt auffiele, wenn sie fehlten? Schon lange hatte er nicht mehr im Garten gewirkt. Ich holte die Axt und war verwundert, wie flott ich die unerwünschten Schattenspender umgehackt hatte.

    Am nächsten Morgen sah die Welt verhangen aus, ein leichter warmer Landregen hatte eingesetzt. Als Mann und Kinder das Haus verlassen hatten, schlich ich barfuß in den nassen Garten. Wie tote Soldaten, die auf ein eilig ausgehobenes Massengrab warteten, lagen die Tännchen am Boden. Sie mußten verschwinden. Ich fühlte mich wie eine Verbrecherin,

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