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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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genug, um dich beizeiten von Moritz' Vater zu trennen. Aber wie soll ich mich verhalten? Reinhard sozusagen vorwarnen? Oder mache ich ihn dadurch auf seine unbewußten Begierden erst aufmerksam und wecke seinen Trotz?«
    Lucie lachte. »Wenn du auf die kleine Birgit von neulich anspielst, dann mußt du dir keine Sorgen machen. Das ist doch ein total unemanzipierter Tuschkasten, tut den Mund kaum auf und hat wenig Grütze im Kopf, ganz unter unserem Niveau.«
    Stille Wasser seien tief, meinte ich, und zur Ehebruch-Tauglichkeit brauche eine Frau keine Grütze, sondern einen vollen Busen und eine doppelte Portion Östrogen.
    Lucie gab mir recht, meinte aber abschließend: »Nimm es doch mit Humor.«

    Ich beschloß, die neue Sekretärin nicht allzu ernst zu nehmen, jedoch eine gewisse Wachsamkeit walten zu lassen. Reinhard versuchte im übrigen, das Klima im Haus etwas aufzuwärmen. Er kam früher nach Hause, unterhielt sich freundlich mit den Kindern und lobte das Essen. Ich grübelte, ob er sich aus einem latent schlechten Gewissen heraus einschmeicheln wollte, während er insgeheim den Ehebruch schon plante, oder ob ich die Unausstehliche war, die hinter allem und jedem Verrat witterte. War ich eine derart mißtrauische Person geworden, weil ich in jungen Jahren - noch bevor ich Reinhard kennenlernte - es selbst mit der Treue nicht so genau genommen hatte? Hatte mich meine Mutter mit ihrem besitzergreifenden Symbiose-Anspruch verdorben? War mein Verhalten eine Folge meiner pubertären Nächte im »kranken Bett« ?
    Ich träumte schlecht: Reinhard betrog mich mit Birgit, ich erwischte die beiden in zweideutigen Situationen. Im Schlaf weinte ich, wollte mich selbst oder wenigstens das ehebrecherische Paar umbringen. Aber stets sagte man mir, ich sei neurotisch und ein Seitensprung habe heutzutage überhaupt keinen besonderen Stellenwert mehr. Wer anders darüber denke, sei altmodisch.

    Nach einer schlechten Nacht rief ich meine alte, aber mir wohlgesonnene Schwester an.
    »Wie geht's euch denn?« fragte sie ungezwungen, ohne mit meinem Schwall wirrer Tag- und Nachtphantasien zu rechnen.
    »Ellen, glaubst du an sogenannte negative Prophezeiungen? Kann ich einen Ehebruch dadurch provozieren, daß ich ihn geradezu erwarte?«
    »Vielleicht sollte sich ein Psychologe deines Problems annehmen«, riet meine Schwester, »du bedarfst dringend fachlicher Hilfe.« Ich erstarrte. Zweimal der Genitiv in einem Satz, das hatte sie von unserem gemeinsamen Vater. Außerdem glaubte auch sie, ich sei nicht richtig im Kopf.
    Fünf Minuten später rief Ellen noch einmal an. Sie hatte nachgedacht, aber ihre Worte waren kein Balsam für meine Seele. Freunde von ihr lebten in einer »offenen Ehe«, berichtete sie, beide hätten die volle Freiheit für eine außereheliche Beziehung, und es funktioniere ausgezeichnet.
    Verstand mich denn niemand? Ich wollte meinen Mann für mich allein. Sollte ich mich an Silvia wenden, die wegen Udo sicher schon einiges durchgemacht hatte? Eine gewisse Scham hielt mich davon ab; meine Freundin sollte weiterhin glauben, daß ich zwar weniger Geld, aber mehr Sex als sie auf meinem Konto zu verbuchen hätte.
    Bereits nach zwei Jahren Ehe hatte mich Reinhard, wie ich glaubte, schon einmal hintergangen. Im Verbandskasten seines Autos fand ich Präservative, die ich abzählte. Nach zwei Wochen fehlte eines. Die uralte Frage quälte mich: Was hatte seine Geliebte, was ich nicht hatte? Als ich ihn zur Rede stellte, entschuldigte sich Reinhard damit, daß es ein einmaliger Ausrutscher gewesen sei. Silvia hatte mir erzählt, daß Udo seine Herzrhythmusstörungen als Begründung für seine Techtelmechtel anführte. Er müsse das Leben genießen, solange es ihm möglich sei. Auch bei Reinhard mutmaßte ich immer wieder, daß er zwecks Abbau seiner Komplexe fremdgehen könnte, aber ich konnte nie mehr einen Beweis entdecken. War Reinhard besonders attraktiv für Frauen? Wahrscheinlich projizierte ich eine übermächtige Sexualität in ihn hinein, um meine eigene stärker zu empfinden.
    Beim Abendessen fragte ich mit unverfänglicher Anteilnahme: »Hat Birgit ihre Sache gut gemacht?«
    Reinhard wußte es nicht; sie habe die Kassetten mit nach Hause genommen und noch nicht zurückgegeben. »Es wäre sicher nicht verkehrt, wenn du ihre Arbeit anfangs durchsiehst«, schlug er vor. »Ich bin es gewohnt, alles blindlings zu unterschreiben.«

    Die Glaskugel hatte Reinhard übrigens ganz vergessen, sie lag noch immer am Fenster.

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