Röslein rot
anderen Personen auf der Burgruine Windeck, vor der Uni, mit großen Sonnenbrillen in einem offenen Wagen und so weiter.
Es war ziemlich klar, daß eine uralte Romanze wieder aktiviert wurde. Mußte unsere Ehe an einer Sekretärin scheitern? Sollte ich tatenlos hinnehmen, daß nicht nur mein Familienbild, sondern auch die Familie selbst zerbrach? Ich ballte die Faust fest um die Glaskugel, die direkt neben dem Album lag.
Jetzt um die Mittagszeit schien die Sonne genau auf einen metallenen Aktenschrank, der unter dem Fenster stand. Ein kleines Experiment war fällig. Im Regal für Zeichenmaterialien fand ich zwar kein Seidenpapier, aber immerhin ein Päckchen Papierservietten. Mißbilligend stellte ich fest, daß die Rasierklinge immer noch in der Toilette auf der Fensterbank lag, sonst hielt Gülsun allerdings mustergültige Ordnung. Unter dem Waschbecken waren in einem Schränkchen Spülmittel, Scheuerpulver und Brennspiritus zum Fensterputzen aufbewahrt. Um keine Spuren auf dem Aktenschrank zu hinterlassen, legte ich die mit Spiritus getränkten Servietten in einen flachen Aschenbecher, bettete die Kugel obenauf und schob dieses Arrangement direkt unter den mittäglichen Sonnenstrahl. Ich brauchte nicht lange zu warten, bis ein niedliches Flämmchen aufstieg. Das Feuer war rasch erstickt, die verschiedenen Hilfsmittel wurden wieder einsortiert.
Auf dem Heimweg war ich sowohl mit finsteren Racheplänen als auch mit physikalischen und chemischen Problemen beschäftigt. Der Haupteinwand dämmerte mir erst zu Hause: Der Spiritus würde zu rasch verdunsten. Wenn ich an einem Samstag abend, nachdem Gülsun geputzt hatte, die Chance wahrnahm, um in Reinhards Büro zu gelangen, dann wäre der Spiritus noch vor Sonnenaufgang verflogen. Außerdem konnte ich nicht genau wissen, ob Reinhard am Wochenende arbeiten mußte. Noch bevor das Album brannte, würde ihm die seltsame Installation am Fenster verdächtig vorkommen.
Also kein Spiritus. In meiner Küche versuchte ich es mit wachsgetränkten Tempotüchern, die ungewachst aber viel besser brannten. Ohne die Glaskugel konnte ich mein Experiment allerdings nicht adäquat ausprobieren. Die Vorstellung des brennenden Fotoalbums bereitete mir teuflisches Vergnügen. »Für Imke - die Tännchen, für Birgit -das Flämmchen«, murmelte ich. Wenn nur die Sonne schien, könnte es auch ohne Spiritus klappen.
Abends belagerten Lara und Jost ihren Vater. »In einer Woche sind Ferien! Alle wissen schon, wohin sie verreisen!«
Reinhard kam die Idee offensichtlich zupaß, die komplette Familie auf unverfängliche Weise loszuwerden. »Kinder, so leid es mir tut! Ich muß die Reithalle für Silvias Pferdeklub bauen, ich kann im Augenblick keinen Tag Urlaub nehmen. Die Mama wird mit euch zur Oma fahren.«
Die Kinder maulten. Etwas Blöderes könnten sie sich kaum vorstellen, dann könnten sie auch gleich zu Hause bleiben. Ich sagte nichts, malte mir aber im Geist mein Abschiedsgeschenk in Form eines kleinen Bürobrands aus, der zwar Zeichnungen und Baupläne verschonte, aber Fotoalben und Liebesbriefe vernichtete.
Als ich Ellen anrief, um zu fragen, ob ihr ein Besuch immer noch willkommen sei, blieb sie einen Moment lang still.
»Ich bin im August nicht zu Hause«, sagte sie, »aber warte mal...«
Wir sagten beide nichts und setzten dann gleichzeitig wieder neu an.
»War ja nur eine Frage«, sagte ich, »Reinhard kann aus beruflichen Gründen nicht mitkommen, und für eine Reise ans Meer fehlt uns momentan...«
»Du sollst den Mund halten!« rief Ellen. »Und zuhören!«
Jahr für Jahr mache sie im gleichen Hotel eine Badekur, und zwar auf Ischia. »Ihr seid eingeladen! Kommt mit! Avanti, avanti!«
Ich war sprachlos. Ellen hatte zwar Geld genug, aber konnte ich ihr großzügiges Angebot annehmen? Und waren zwei Kinder, die in den Sommerferien toben und lärmen wollten, in einem Hotel für ältere Rheumatiker nicht störend? Meine Schwester zerstreute alle Bedenken. Das Meer liege vor der Hoteltür, wo es laut und fröhlich zugehe; die Kinder könnten sich nach Herzenslust amüsieren. »Und wir auch«, schloß sie.
Also stimmte ich zu.
Lara und Jost waren unsicher, ob das eine erfreuliche Nachricht sei. »Die ist noch älter als die Oma«, meinte Lara.
»Sie hat selbst keine Kinder, also auch keine Enkel«, erklärte ich. »Vielleicht seid ihr der Traum ihrer schlaflosen Nächte!«
Im übrigen hielten beide Kinder das Ziel für annehmbar. »Italien fehlt in meiner Sammlung«,
Weitere Kostenlose Bücher