Röslein rot
sieht man zwei Pilze, einen Korb mit Kastanien, eine Traube reifer Beeren, einen Teller mit Mandeln und zwei kleine Käselaibe. Auf den Gemälden seiner Zeitgenossen wird meist ein Überfluß an bunten, prächtigen Gegenständen, Früchten und Blumen präsentiert. Aber gerade in feiner Zurückhaltung liegt der Reiz dieser Darstellung. Die Farbe Braun dominiert: Hellbraun sind Tisch und Mandeln, dunkel glänzend die Kastanien, bräunlich der Käse, tief umbra der Hintergrund. Das bastfarbene Körbchen, die gelblich-weißen Champignons, die schwärzlichen Beeren und das grauweiße Käsepapier bieten nur einen schwachen Kontrast zu den braunen Schattierungen. Fast wäre diese Komposition in ihrer vornehmen Bescheidenheit etwas langweilig, wenn da nicht der Keramikteller wäre. Seine taubenblaue, leicht changierende Glasur bildet einen köstlichen Gegenpol zu den ruhigen Naturtönen.
Ein geheimnisvoller Zauber, der nicht durch vordergründige Symbolik erklärt werden kann, geht von der herbstlichen Ernte aus. Was sind das für schwarze Beeren? Handelt es sich wirklich um Champignons? Und die Mandeln, die so säuberlich im blauen Teller angerichtet wurden, sind sie süß oder bitter? Alles kann harmlos sein - oder auch nicht.
Auf wackliger Leiter stehend, stieß ich heftig mit einer Harke gegen die Zweige des Obstbaums, um die gelben Früchte herunterplumpsen zu lassen. Mit den Gedanken war ich ganz woanders. Ich sollte ein Verhältnis mit Udo gehabt haben! Ausgerechnet mit ihm! Wie konnte Silvia so etwas vermuten? Andererseits wußte ich aus eigener Erfahrung, wie leicht man sich in absurden Verdächtigungen verrennt. Ich reckte mich, um einen Ast zu erwischen, und wäre um ein Haar hinuntergefallen. Dann kam mir der Gedanke, daß Silvia womöglich aus Berechnung log. Wenn sie tatsächlich glaubte, ich schliefe mit Udo, dann hätte sie mich doch nicht auf Brillensuche geschickt und mir ihren Mann sozusagen auf dem Silbertablett serviert.
Wespen umsummten mich und machten mir die besten Mirabellen streitig. Gedankenverloren steckte ich mir so manche von Insekten angenagte Frucht in den Mund. Jede dritte spuckte ich wieder aus, weil sie nicht schmeckte.
Was hilft das Spekulieren, sagte ich mir, ich muß Marmelade machen! Nachdem ich das Obst gewaschen, entkernt und im Mixer zerkleinert hatte, vermischte ich das Mirabellenmus mit Gelierzucker und wollte es vorschriftsmäßig einige Stunden lang im großen Topf ziehen lassen.
Trotz schlechten Gewissens hatte ich vor, etwas zu mogeln und die Wartezeit abzukürzen. Mit einem großen Korb unterm Arm stieg ich in den Keller, um leere Einmachgläser zu holen und in der Küche heiß auszuwaschen. Beim Anblick des Glascontainers kam mir die Grapefruitflasche wieder in den Sinn. Ich zog sie heraus und stellte fest, daß sie noch Saft enthielt. Als ich die Flasche ansetzte, um einen Schluck zu probieren, zog es mir den Gaumen zusammen, so bitter war das Zeug.
Wahrscheinlich war der Saft verdorben. Gut, daß ihn die ewig durstigen Kinder nicht entdeckt hatten! Ich schob die Flasche hinter eine Weinkiste, weil ich keine Lust hatte, neben zwanzig Schraubgläsern noch weiteren Ballast mit nach oben zu tragen. War Udo vielleicht an vergorenem, bereits giftigem Obstsaft gestorben? Oder an vergiftetem Saft? Wenn Reinhard die Flasche mit dem verräterischen Inhalt beseitigt hatte, dann wußte er doch wohl, warum. Mir war benommen im Kopf. Ich stapfte mit meinem klirrenden Korb die Treppe hinauf, stellte gedankenverloren die Herdplatte an und wollte nicht glauben, daß mein Mann mit der falschen Silvia unter einer Decke steckte.
Ohne zu wissen, was ich eigentlich suchte, durchwühlte ich die Kleider, die er am Vortag getragen hatte. Das obligate Maßband steckte noch in der Hosentasche, ein Zeichen dafür, wie unkonzentriert Reinhard war. Auf einem vielbenutzten Zettel las ich eine Zahl, die mir bekannt vorkam. Es war die Telefonnummer von Silvias Mutter. In der Schreibtischschublade fehlten die Tonkassetten, also war Birgit wieder zurück. Außerdem entdeckte ich eine weitere Restaurantrechnung und eines von Rüdigers Fotos, die ich doch unter meiner Matratze wähnte. Also schien mein Mann ebenso zu schnüffeln wie ich.
Ein brenzliger Geruch und ein bedenkliches Zischen trieben mich wieder in die Küche zurück, wo mich eine furchtbare Sauerei erwartete. Es sollte lange dauern, bis ich die verbrannte, klebrige Masse von der Herdplatte abgekratzt hatte, vom Kochtopf ganz zu
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