Röslein rot
wieder im Krankenhaus zu arbeiten und zur Frühschicht anzutreten. Hoffentlich war sie von Reinhard geheilt, der sie wohl erst richtig krank gemacht hatte.
Die Straße, in der Silvia wohnte, wurde aufgerissen. Mühsam fuhr ich halb auf dem Bürgersteig an der Baustelle vorbei und hielt kurz vor ihrem Haus in einer kleinen Parkbucht an. Ich stieg aus, um die letzten zehn Meter zu Fuß zu gehen. Udos, Silvias und Reinhards Wagen standen eng hintereinander auf der herrschaftlichen Einfahrt. Der Garten war stets tadellos gepflegt, Udos Werk. Wer sollte in Zukunft Silvias Kommandos ausführen? Plötzlich hörte ich meinen Namen und versteckte mich schnell hinter einem buschigen Rhododendron.
Silvia und Reinhard schienen sich gerade vor der Haustür zu verabschieden. »Wie oft soll ich es dir noch sagen«, ereiferte sie sich. »Das kommt davon, daß er sich so verausgabt hat, ständig hat er es mit ihr getrieben.«
Reinhard schien ihr nicht zu glauben. »Ich kann und kann es mir nicht vorstellen. Anne ist zwar schwierig und krankhaft eifersüchtig, jedoch völlig auf mich fixiert. Aber ich muß jetzt wirklich heim, sonst gibt es eine Katastrophe!« Er umarmte sie. »Alles wird gut!« sagte er.
Mir wurde übel. Da beschuldigte mich Silvia, der ich stets vertraut hatte, die eine entfernte Verwandte und eine Freundin war, auf üble Weise gegenüber meinem Mann. Was war denn bloß in sie gefahren? Glaubte sie tatsächlich, was sie sagte, und Udo hatte sich mit erfundenen Abenteuern gebrüstet? Wie ein getretener Hund machte ich kehrt, um erst einmal nachzudenken. Es war nicht der richtige Moment, um Silvia zur Rede zu stellen. Ich verzog mich ins Auto und wartete. Da es eine Einbahnstraße war, würde mich Reinhard nicht zu Gesicht bekommen. Als ich seinen Wagen starten hörte, blieb ich noch fünf Minuten sitzen und fuhr dann ebenfalls nach Hause. Leise öffnete ich unsere Tür. Reinhard stand noch im Flur und starrte mich an, als sei ich ein Gespenst. »Wo kommst du denn her?« fragte er heiser.
»Ich wollte dich beim Samariterdienst ablösen, aber ich sah bloß noch dein Rücklicht aufleuchten.«
Reinhard schaute auf die Uhr. »Hast du überhaupt nicht geschlafen? Wie sinnlos, wo ich doch extra die Nachtwache übernommen habe. Ich leg' mich jetzt noch eine Stunde hin, und du solltest das auch tun.«
Plötzlich stand Jost im Schlafanzug vor uns. »Ist etwa wieder Schule?« fragte er verdöst.
»Erst in einer Woche, Schatz«, sagte ich, und Reinhard befahl: »Ab ins Bett, du Seckel!«
Merkwürdigerweise schlief ich sofort ein.
Kurz vor dem endgültigen Aufwachen hatte ich einen bösen Traum: Imke stand mit einem Sprengkörper vor unserem Haus. Die Bombe sah wie eine eiserne Frau aus.
Wir verschliefen alle. Reinhard mußte unrasiert und ohne Frühstück aufbrechen, um noch pünktlich zu seiner Verabredung mit einem potentiellen Kunden zu kommen. Für solche Fälle lag ein Elektrorasierer in seinem Büroschreibtisch. Während er in die Hosen fuhr, schmierte ich ihm rasch ein Pausenbrot und fragte nebenbei: »Wie haben es die Mädchen aufgenommen?«
»Welche Mädchen?« sagte er abwesend.
»Korinna und Nora, waren sie völlig verstört?«
Ich erfuhr, daß Silvia ihre Töchter doch lieber bei der Großmutter gelassen hatte.
Erst reichlich spät am Tag saß ich mit den Kindern beim Frühstück. »Wie sah denn der tote Udo aus?« fragte Lara mit wohligem Gruseln.
Jost legte das Herrenmagazin beiseite, um nichts zu verpassen.
»Ganz friedlich«, sagte ich, »er ist im Schlaf gestorben.«
Mein Junge meinte nachdenklich: »Ellen hat gesagt, Männer sterben früher als Frauen. Muß ich früher sterben als Lara?«
Seine Schwester belehrte ihn: »Du hast noch zehn Jahre Zeit, bis du ein Mann bist.«
»Dürfen wir zu Udos Beerdigung?«
Ich wußte es noch nicht, wollte die beiden ins Schwimmbad schicken, kramte in meiner Handtasche nach Geld für Bockwurst und Eis und stieß auf zwei Zahnspangen.
Ich hörte Jost ängstlich erklären: »Und die Oma sagt, mit nassen Haaren holt man sich den Tod.«
Mit meinen Sorgen allein gelassen, beschloß ich, zur eigenen Ablenkung die wenigen diesjährigen Mirabellen zu ernten und einzumachen. Insgeheim hatte ich vor, die Sauerkirschmarmelade meiner Schwiegermutter zu übertreffen.
Ein unbekannter neapolitanischer Künstler hat ein seltsames herbstliches Stilleben gemalt, das zwar um 1660 entstanden ist, aber in seiner Farbgebung hochmodern anmutet. Auf dem polierten Holztisch
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