Röslein rot
Lucie endlich auch einmal etwas an. Bekanntlich sei sie eine geborene Meier und verheiratete Stüwer - daher der Doppelname »Meier-Stüwer« am Türschild. Stüwer hatte sich scheiden lassen, weil sie von einem gewissen Gerd schwanger wurde, dem Vater von Moritz. Gottfried, der mit vollem Namen Dr. Gottfried Hermann hieß, war der Vater von Eva; leider sei er nicht von der Mutter seiner ältesten Kinder geschieden... »Es ist ein einziges Kuddelmuddel!« Dabei grinste sie von einem Ohr bis zum anderen. »Mit Stüwer treffe ich mich gelegentlich, er hat mir längst verziehen, der Typ ist im Grunde okay. Meine einzige richtige Entgleisung war Gerd Triebhaber.«
Hatte ich richtig gehört? Mein erster Lover Gerd war der Vater von Moritz? Udo, Silvia und die Saftflasche waren vergessen, ich erging mich gemeinsam mit Lucie in Erinnerungen an Gerd, den ich ja lange vor ihr gekannt hatte. Was war aus ihm geworden?
»Rate mal«, sagte Lucie, »sein Beruf fängt mit P an! Gerd ist zum zweitenmal verheiratet und Vater zweier Kinder, das heißt, mit Moritz sind es drei.«
»Wo wohnt er denn?«
»Gar nicht weit von hier, in Ludwigshafen. Er arbeitet als Pharmakologe an einer Uni-Klinik, verdient das große Geld und hat nie einen Pfennig für Moritz bezahlt.«
Das war ja hochinteressant, wie gut, daß ich nicht auf Gerd Triebhaber sitzengeblieben war.
Ich nahm Moritz auf den Schoß und begutachtete ihn mit ganz neuen Augen und wacher Aufmerksamkeit. Das war ein echter kleiner Triebhaber, wie er leibte und liebte! »Hat das Kind eine Ahnung...?« fragte ich.
Lucie schüttelte den Kopf. »Anne, er ist gerade mal drei Jahre alt. Übrigens hätte ich Gerd nie im Leben geheiratet, schon wegen seines Nachnamens! Moritz und Eva heißen schlicht Meier. Sie können ja adlig heiraten, wenn es ihnen nicht paßt.«
Lucie riß mir ihren Teufel wieder weg und preßte ihn inbrünstig an sich, was Evchen Anlaß zu Eifersucht gab. Dann fragte sie neugierig: »Du scheinst auch nicht gerade eine loyale Ehefrau zu sein, Silvia hat so eine Andeutung gemacht...«
Ich wurde rot bis über beide Ohren. »Was hat sie gesagt?« fragte ich und wirkte sicherlich nicht wie ein Unschuldslamm.
»Udo und du«, begann Lucie und stockte wieder. »Ich konnte es mir eigentlich kaum vorstellen, aber Silvia behauptet, Udo habe alles zugegeben! Deswegen halte sich ihre Trauer auch sehr in Grenzen.« Sie blickte mir forschend ins Gesicht.
»Das ist eine unverschämte Unterstellung«, sagte ich wutentbrannt, »kein Wort ist daran wahr. Udo hat mir zwar gelegentlich nachgestellt, aber völlig erfolglos. Ich denke, er hätte es ungern riskiert, eine Ohrfeige zu bekommen.«
Lucie wiegte den Kopf nachdenklich hin und her. »Entweder hat Udo gelogen - oder Silvia.« Die dritte Möglichkeit, daß ich nicht die Wahrheit sagte, sprach sie zwar nicht aus, aber ich sah ihr an, daß sie auch das in Erwägung zog.
»Silvia lügt. Daß Udo ihr einen Bären aufgebunden hätte«, überlegte ich, »ist kaum denkbar. Die meisten Ehemänner würden genau umgekehrt handeln, nämlich eine tatsächliche Affäre leugnen, statt sich eine erfundene auszudenken. Warum sollte er sich so blöde benehmen?«
»Versteh' einer die Männer«, sagte Lucie. »Vielleicht hat's mit Silvia im Bett nicht mehr geklappt, sie hat ihn gedemütigt, und er hat aus Rache behauptet, mit anderen Frauen habe er keine Probleme!«
Das lag zwar im Bereich des Möglichen, aber warum mußte ausgerechnet ich als Sündenbock herhalten? Ich bat Lucie, niemandem, und schon gar nicht Reinhard, etwas von diesem Gespräch zu erzählen. »Die Leute denken rasch, es könnte etwas Wahres dran sein«, sagte ich. »Aber du hast mich doch sicher Silvia gegenüber verteidigt?«
»Ja, natürlich«, sagte Lucie etwas lau, »aber was sollte ich ihr schon entgegenhalten, als sie mir unter Tränen anvertraute, Udo habe ihr sein Verhältnis mir dir gebeichtet?«
Meine Freundin sammelte ihre Kinder wieder ein und begab sich auf den Heimweg.
Es klingt fast exzentrisch, daß ich mir gerade in dieser Situation meine Malsachen aus dem Schrank kramte. Ich wollte nur eins: der vertrackten Wirklichkeit, den untreuen Ehemännern, falschen Freundinnen und der unbewältigten Vergangenheit entfliehen.
Sollte ich heute mit dem geplanten Küchenstilleben beginnen? Sicher war die ganze Familie bald wieder versammelt und stellte Ansprüche. Ich legte mir trotzdem den Zeichenblock zurecht und begann, Udo auf dem Totenbett zu skizzieren,
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