Röslein stach - Die Arena-Thriller
allen Dingen Handys waren verräterisch: Man konnte nicht nur jeden Anruf, jede SMS, sondern auch jede Bewegung, die der Besitzer damit gemacht hatte, im Nachhinein zurückverfolgen. Dann würde man zum einen sehen, dass Ralph sie an dem bewussten Freitag nicht angerufen hatte, aber auch, dass er sich in der Nähe der alten Villa aufgehalten hatte.
Am besten wäre es, jetzt schon mal ein paar Schritte in Richtung Wahrheit zu gehen. Früher oder später musste Antonia ihrer Mutter ohnehin reinen Wein einschenken, sonst würde sie für alle Zeiten denken, sie selbst sei schuld daran, dass Ralph sich etwas angetan hatte. Notfalls müsste Antonia eben die Wahrheit sagen – oder versuchen, ihr die Selin-Version zu verkaufen.
Doch das alles musste sorgfältig und überlegt eingefädelt werden. Sie musste wahnsinnig aufpassen, was sie der Polizei sagte und was ihrer Mutter.
»Das stimmt nicht ganz, Mama. Ralph hat nicht angerufen, er war am Freitagnachmittag hier und hat herumgebrüllt. Ich wollte dich nur nicht beunruhigen.«
»Um Himmels willen!«
»Ich habe nicht aufgemacht und einfach so getan, als ob ich nicht zu Hause wäre. Er hat gerufen, er würde dich umbringen, wenn er dich findet!«
Soll sie ruhig die Wahrheit erfahren über ihren Göttergatten, dachte Antonia.
Am anderen Ende wurde es still.
»Sei froh, dass du ihn los bist!«
»Vielleicht hast du recht«, kam es kleinlaut.
Na also! Geht doch!
»Und sonst? Ist bei dir alles in Ordnung?«
»Ja, klar Mama! Alles bestens. Du kannst ganz beruhigt sein.«
»In der Zeitung – also im Internet – steht, dass in Linden ein Mädchen umgebracht worden ist.«
Scheiß Internet, scheiß neue Medien!
»Ja, das stimmt. Aber mach dir keine Sorgen, ich pass schon auf mich auf. Ich geh abends nie alleine weg, nur mit Katie oder den anderen.«
Das war vielleicht der erste ehrliche Satz dieses Gesprächs, erkannte Antonia mit schlechtem Gewissen.
»Versprich mir, dass du das auch in Zukunft tust.«
»Ich verspreche es, Mama«, sagte Antonia aufrichtig.
»Linda meint, du könntest uns ja mal besuchen. Es gibt doch Billigflüge… und die Schule hat auch noch nicht angefangen.«
»Ich muss mich erst mal hier einleben«, wich Antonia aus, aber dann räumte sie ein: »Aber eigentlich ist das keine üble Idee. Die Ferien dauern ja noch lange. Ich schau mal. Tschau, Mama.«
Sie legte auf, ihr schwirrte der Kopf. Es war so eine Sache mit den Lügen. Eine davon zog die nächste nach sich und die übernächste…
Auf dem Weg ins Bad roch Antonia Kaffee. Robert war also da. Sie war froh darüber.
Er saß am Küchentisch und starrte nachdenklich in den Garten, Asche fiel von seiner Zigarette auf die Tischplatte, er beachtete sie nicht. Antonia legte das Tagebuch vor ihn hin, goss sich Kaffee ein und so saßen sie eine Weile schweigend da, bis Antonia sagte: »Bist du sicher, dass der Petri oder wie immer er wirklich heißen mag ein Mörder ist?«
»Was weiß ich? Ich meine, der war doch nicht umsonst fast zwanzig Jahre in der Klapse.«
»Es soll auch schon vorgekommen sein, dass der Falsche eingesperrt wurde.«
Robert nahm einen tiefen Zug vom letzten Stummel seiner Zigarette. »Das Schlimme ist: Ich mochte ihn sogar. Er kam mir so sensibel vor, besonders wenn er über Pflanzen redete.«
»Ich mochte ihn auch«, räumte Antonia ein. »Und ich glaube nicht, dass er der Mörder von dieser Sonja war. Wenn man das Tagebuch liest… Okay, sie haben sich gestritten, dass die Fetzen flogen, aber sie haben sich doch wirklich geliebt. Klingt zumindest ziemlich nach großer Liebesgeschichte.«
»Jetzt kommt aber wieder deine romantische Ader durch«, meinte Robert skeptisch. Sein Mund verzog sich zu einem schwachen Grinsen. »Der Kerl war zwanzig Jahre älter als sie, vielleicht hatte er Angst, sie zu verlieren. Es heißt doch immer: Frauen töten, um jemanden loszuwerden, Männer töten, um jemanden zu behalten.«
Davon hatte Antonia zwar noch nie gehört, aber es könnte etwas Wahres dran sein. Sie blätterte noch einmal im Tagebuch, bis zu der Seite mit den beiden Zeichnungen. Ja, jetzt, wo sie es wusste, war die Ähnlichkeit mit dem Gärtner unverkennbar. Dieses hagere Indianergesicht mit der scharfen Nase und den stechenden Augen. Aber dieser Baby, dessen Gesicht Sonja als Hintern dargestellt hatte, war ihr nach wie vor fremd.
»Ich finde, dass dieser Baby viel verdächtiger ist«, sagte Antonia. »Der muss doch rasend vor Eifersucht und Wut gewesen sein. Sonja
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