Röslein stach - Die Arena-Thriller
Robert und grinste. »Würde mich nicht wundern, wenn es hier auch noch spukt.«
Dieses Mal ging Antonia auf sein Gerede erst gar nicht ein. Sie zog das Tuch vom Schreibtisch. Staub wirbelte auf.
Es war keine leichte Angelegenheit, den alten Sekretär die enge, steile Treppe hinunterzutragen, ohne ihn zu beschädigen. Aber schließlich stand das elegante Möbelstück unversehrt neben der Tür zu Antonias Balkon. Etwas außer Atem bedankte sie sich bei Robert für die Hilfe.
»Keine Ursache.« Eigentlich hätte er jetzt gehen können. Stattdessen durchquerte er das Zimmer, stellte sich ans Balkongeländer und schaute hinaus, als gäbe es dort drüben, auf dem Friedhof, etwas besonders Interessantes zu beobachten. Was steht er hier herum wie ein Denkmal und sagt keinen Ton? Antonia war verunsichert. Sie überlegte, ob sie ihm von dem Mann erzählen sollte, den sie in ihrer ersten Nacht vor dem Tor gesehen hatte. Aber sie war sich ja nicht ganz sicher, ob da wirklich jemand gestanden hatte, und so, wie sie Robert inzwischen kannte, würde er sich sicher nur darüber lustig machen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit wandte er sich zu ihr um und sagte: »Okay, ich kann ja mal mit den anderen reden – wenn du unbedingt bei uns dabei sein willst.«
Antonias Herz machte einen kleinen Sprung. »Cool.«
Robert gönnte ihr ein Lächeln. Dann wandte er sich zum Gehen und Antonia dachte kurz, dass es schön wäre, wenn er bliebe. In der Tür drehte er sich aber noch einmal um und sagte: »Ich bin im Fernsehzimmer. Kannst ja runterkommen, wenn du möchtest.«
»Mal sehen«, antwortete Antonia, obwohl alles in ihr begeistert Jajaja! schrie.
Er zwinkerte ihr schelmisch zu. »Allein fürchte ich mich immer bei Krimis.«
Antonia ließ sich Zeit, um ins Wohnzimmer zu gehen. Es fiel ihr ausgesprochen schwer, jede Sekunde dehnte sich wie Kaugummi, aber sie brachte es immerhin fertig, eine Viertelstunde zu warten, in der sie den Schreibtisch abstaubte, die Schubladen auswischte und sich die Wimpern tuschte. Sollte sie etwas von dem Parfum benutzen, das Katie am Samstag geklaut hatte? Nein, nur nicht übertreiben! Nichts wäre schlimmer als eine spöttische Frage von Robert, wieso sie parfümiert zum Fernsehabend erschien.
Als sie das Zimmer betrat, lümmelten Matthias und Robert mit einer Flasche Rotwein und einer Tüte Chips auf den beiden Sofas und Antonia hatte Mühe, sich ihre kleine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Sie nahm das angebotene Glas Wein, kuschelte sich in den noch freien Sessel und amüsierte sich über die Bemerkungen, mit denen Robert und Matthias das Geschehen auf dem Bildschirm kommentierten. Meine neue Familie, dachte Antonia und fühlte sich dabei pudelwohl. Trotzdem musste sie sich auf einmal heimlich eine Träne aus dem Gesicht wischen – für die sie keine Erklärung hatte.
Kurz vor Mitternacht hatte sich die Kneipe so weit geleert, dass der Wirt Katie nach Hause schickte. Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Der Sonntagabend war keine beliebte Schicht, denn an diesem Abend herrschte fast immer Totentanz im Lokal. Wenigstens hatte bis zehn Uhr noch eine Gruppe Radfahrer im Garten gesessen, was den Umsatz einigermaßen gerettet hatte. Katies Lohn setzte sich aus fünf Euro Stundenlohn, einer zehnprozentigen Umsatzbeteiligung und dem Trinkgeld zusammen. Der Besitzer hatte ihr zum Abschied versprochen, dass sie zum Ausgleich am Donnerstag oder Freitag wiederkommen dürfte, den umsatzstärksten Tagen der Woche.
Sie kettete ihr Fahrrad los und trat müde in die Pedale. Aber was war denn mit ihrem Rad los? Sie stieg ab und fluchte. Ein Platten. Auch das noch! Wütend machte sie kehrt und schloss das Rad gleich wieder am Fahrradständer vor der Kneipe an. Es machte wenig Sinn, das kaputte Rad jetzt auch noch nach Hause zu schieben. Um die Ecke gab es eine Fahrradwerkstatt, dort könnte sie es morgen nach Feierabend hinbringen. Noch immer leise vor sich hin schimpfend, hängte sie sich ihren Rucksack um und machte sich auf den Heimweg. Die Straße war wie ausgestorben. Selbst im sonst recht lebendigen Stadtteil Linden verbrachte man die Nacht von Sonntag auf Montag offenbar lieber in den eigenen vier Wänden. In den meisten Fenstern der umstehenden Häuser brannte schon kein Licht mehr. Und jetzt fing es auch noch an zu nieseln!
Wenige Meter später war Katie nicht mehr sicher, ob sie wirklich alleine auf dieser Straße unterwegs war, denn von den dunklen Backsteinfassaden hallten Schritte wider.
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