Röslein stach - Die Arena-Thriller
Beunruhigt fuhr sie herum. Niemand war zu sehen. Ich bin hysterisch, dachte sie und ging weiter, allerdings etwas schneller als vorhin, und das, obwohl die Straße hier, am Fuß des Lindener Berges, bereits deutlich anstieg. Bestimmt war es nur das Echo ihrer eigenen Schritte gewesen, das sie gehört hatte. Aber ihre Sneakers machten doch eigentlich fast gar kein Geräusch, oder? Trotz ihrer schnellen Gangart bemühte sie sich jetzt, ganz leise aufzutreten. Doch, da war etwas. Da waren Schritte. Fremde Schritte. Sie warf einen Blick über die Schulter. War da nicht gerade ein Mann in eine Einfahrt gehuscht? Ganz ruhig, Katie. Da ist ein Mann langgegangen und nun ist er in einem Haus verschwunden. Alles ist gut, beruhige dich. Und überhaupt: Man durfte nach außen keine Angst ausstrahlen, sonst war man ein potenzielles Opfer, das hatte sie schon öfter gehört. Also die Schultern straffen und mit entschlossenen Schritten weitergehen, zügig, aber nicht hektisch.
Sie konnte sich so gut zureden, wie sie wollte, aber so langsam bekam sie panische Angst. Denn da waren sie schon wieder, diese Schritte im Dunkeln. Zu allem Überfluss führte sie ihr Weg nun auch noch an einem Schulgelände vorbei, das von unübersichtlichen Sträuchern und Bäumen umgeben war. Hier boten sich zig Verstecke, hinter jeder Hecke, hinter jedem Busch konnte jemand lauern. Unsinn, sagte sie sich, die Schritte waren doch hinter ihr gewesen! Sie blieb abrupt stehen. Deutlich hörte sie nun das Aufklatschen von Sohlen auf nassem Asphalt. Und dann sah sie ihn. Er war ebenfalls stehen geblieben, sein Umriss verschmolz mit dem Schatten eines hohen Strauchs. Starrte er sie an? Keine Chance, sein Gesicht zu erkennen, und Katie wollte es auch gar nicht erst so weit kommen lassen. Sie wechselte die Straßenseite. Weg von dem Gebüsch, von den Schatten. Sie fing an zu rennen, so schnell sie konnte. Hatte sie bis jetzt noch an die Möglichkeit geglaubt, sich das alles nur einzubilden, so bestand jetzt kein Zweifel mehr: Der Mann folgte ihr mit weit ausgreifenden Schritten. Katie schlug einen Haken und duckte sich rasch hinter einen Verschlag, in dem Mülltonnen untergebracht waren. Es war riskant. Offenbar war hier kein Mensch. Sie blickte an der Fassade hoch, vor der sie kauerte. Kein Licht mehr. Niemand würde ihr zu Hilfe kommen, wenn er sie hier entdeckte und auf das Schulgelände hinter einen Busch zerrte. Aber wenn sie jetzt weiterging, war sie auch nicht sicher. Sie war auf ihrem ganzen Weg noch keinem Menschen begegnet, nur ein Radfahrer hatte sie überholt. Und der Nieselregen machte die Sache nicht besser.
An die stinkende Biotonne gelehnt, versuchte sie, möglichst leise zu atmen, nein, nicht nur leise, sie durfte gar nicht mehr atmen.
Tapp, tapp, tapp. Es waren schwerfällige Männerschritte und sie kamen immer näher. Plötzlich vernahm sie laute Stimmen, ein meckerndes Lachen, ein Rülpsen, dann das Splittern von Glas und den Ausruf »Hey, du Arsch! Mein Bier!«. Vorsichtig lugte Katie aus ihrem Versteck. Drei Jungs näherten sich, sie gingen mitten auf der Straße. Katie hatte die Typen schon ein paar Mal gesehen, sie wohnten in einem der Blocks, an denen sie vorhin vorbeigegangen war. Es war offensichtlich, dass sie nicht mehr ganz nüchtern waren. Zwei von ihnen hatten Bierflaschen in den Händen, die dritte war wohl soeben runtergeknallt. Es war nicht die Sorte Jungs, denen man als Mädchen gerne nachts begegnen wollte, und Katie hätte jede Wette gemacht, dass die drei zu dem Personenkreis gehörten, der bei der Polizei unter dem Begriff »jugendliche Intensivtäter« geführt wurde. Sie erinnerte sich, wie sie ihr vor einer Woche Wörter in verschiedenen Sprachen nachgerufen hatten, als sie mit dem Rad an ihnen vorbeigefahren war. Das waren sicher nicht nur Komplimente gewesen.
Na großartig, dachte Katie in einem Anflug von Sarkasmus. Ich habe also die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Viel Zeit, diese Wahl zu treffen, blieb ihr allerdings nicht. Doch alles erschien ihr besser, als hier auszuharren und auf das Näherkommen dieses unheimlichen Mannes zu warten. Wer weiß, ob sie in dieser Nacht überhaupt noch jemandem begegnen würde, der ihr helfen konnte – also: jetzt oder nie. Sie schoss aus ihrem Versteck hervor und stand so urplötzlich vor den dreien, dass es diesen glatt die Sprache verschlug. Katie nutzte deren Schrecksekunde und rief: »Hey, Männer, ihr müsst mir helfen! Da ist so ein Scheißtyp hinter mir her!«
Die
Weitere Kostenlose Bücher