Röslein stach - Die Arena-Thriller
kurzen Abständen. Kein Rückruf. Seltsam. Offenbar hatte auch Ralph erfolglos versucht, ihre Mutter zu erreichen. Sie schaltete das Handy aus, nahm die SIM-Karte heraus und warf sie in den Papierkorb neben der Bank.
»Ich würde lieber auch das Handy wegwerfen«, meinte Katie. »Manche haben einen fest installierten GPS-Chip. Die Polizei kann den orten. Wir schmeißen es am besten nachher in die Leine.«
»Okay.« Antonia respektierte Katies Fachwissen auf diesem Gebiet, es kam ihnen in dieser Situation unheimlich gelegen. Siedend heiß fiel ihr jetzt ein, dass sie seit heute früh noch nicht wieder versucht hatte, ihre Mutter anzurufen.
Sie zog ihr eigenes Handy hervor.
»Wen rufst du an?«
»Meine Mutter. Ich will wissen, ob es ihr gut geht.« Aber wieder klingelte es ins Leere. »Verdammt! Ich mache mir Sorgen.«
»Ich mir auch«, sagte Katie. »Die Polizei wird früher oder später deine Mutter verdächtigen, Ehefrauen werden immer verdächtigt. Und spätestens, wenn sie deine Mutter verhaften, dann wirst du weich und verrätst mich. Blut ist dicker als Wasser«, fügte sie theatralisch hinzu.
An diese Möglichkeit hatte Antonia noch gar nicht gedacht.
Sie war im ersten Moment schockiert und entsetzt gewesen, als sie Ralph mit der Heckenschere in der Brust hatte daliegen sehen. Es hatte etwas Unwirkliches gehabt, fast wie eine Filmszene: das blutige Hemd, sorgfältig gebügelt von ihrer Mutter, die Fliegen, die auf seiner Brust herumkrochen, die toten Augen, der verzerrte Mund… Sie würde dieses grausige Bild ihr Leben lang nie mehr aus dem Kopf bekommen. Und doch war ihr der Gedanke, mit diesem Bild im Kopf leben zu müssen, lieber als der, ihre Mutter bei diesem Mann zu wissen. Wenn das der Preis war, dann würde sie ihn gern bezahlen. Und so hatte Antonia nach dem ersten Schock zu ihrem eigenen Erstaunen gespürt, wie eine große Erleichterung von ihr Besitz ergriffen hatte. Nachdem sie sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, war sie zu ihrem eigenen Erstaunen in der Lage gewesen, kühl zu überlegen, was zu tun war.
Aber insgeheim musste sie Katie jetzt recht geben. Natürlich würde Antonia nicht zusehen, wie ihre Mutter ins Gefängnis ging, auch nicht für einen Tag.
»Wieso dich verraten?«, entgegnete sie nun. »Es war doch Selin, oder etwa nicht?«
Sie sahen sich an und ein kleines Lächeln stahl sich auf Katies Katzengesicht, als sie sagte: »Toni, du bist ja noch viel böser, als ich dachte!«
Antonia nahm es als Kompliment. »Manchmal muss man eben ein Miststück sein«, meinte sie.
Katies Handy klingelte. »Ja? – Gut so. – Sehr schön, ja Russland ist prima. – Nichts zu danken, Männer.« Sie legte auf. »Das Auto befindet sich schon auf dem Weg nach Osteuropa. Los, komm, wir haben auch noch zu tun.«
Sie erhoben sich von der Bank und fuhren los, um die Requisiten für ihren vorgetäuschten Satanskult zu besorgen und Ralphs Handy loszuwerden. Antonia musste plötzlich an Herrn Petri denken, wie er am Montagmorgen beim Kaffeetrinken in der Küche gesagt hatte, dass in jedem Menschen eine Bestie stecke. Wie recht er doch hatte.
19.
Auf dem Küchentisch brannten sechs Grablichter. Die Zeiger der Küchenuhr bewegten sich auf zwölf Uhr zu, aber dennoch war es draußen noch immer nicht richtig dunkel.
»Muss denn ausgerechnet heute Vollmond sein?«, maulte Robert. »Am Ende treiben sich ja wirklich noch ein paar Irre auf dem Friedhof herum.«
Matthias stand in der Tür. »Jammern hilft jetzt nicht. Komm, erledigen wir erst mal die Sache mit dem Tor.«
Robert folgte ihm in den Flur, wo schon das Brecheisen, eine Zange und ein Bolzenschneider bereit lagen. Beide trugen dunkle Hosen und schwarze Kapuzensweatshirts.
»Wir kommen noch mal her. Ihr könnt schon mal die Schubkarre, Spaten und Schaufeln und das Halloween-Zeugs herrichten«, sagte Matthias zu den Mädchen.
»Steht schon alles vor dem Schuppen«, antwortete Antonia. Nur die Grablichter hatten sie hereingenommen, um sie zur Hälfte abzubrennen, damit es »echt« aussah.
»Wir haben sogar die Pforte nachgeölt«, setzte Katie hinzu.
Matthias nickte anerkennend. »Dann bis gleich.«
Katie und Antonia gingen zum Fenster des Salons. Ohne Licht zu machen, beobachteten sie die beiden. Sie verharrten eine ganze Weile vor der Pforte und behielten die Straße im Blick. Einmal kam ein Auto und sie duckten sich hinter die Rosensträucher, um den Lichtkegeln der Scheinwerfer zu entgehen. Robert hatte recht, das Timing war
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