Roeslein tot
christlich, so etwas zu sagen, aber um den Schladerer ist es nicht schade. Wer auch immer seinem Leben ein Ende bereitet hat, der wird vor unserem Herrgott Gnade finden, da bin ich mir sicher.«
Der Stuhlinger könnte jetzt einwenden, dass ein Mord seiner Meinung nach kein Werk der Nächstenliebe sei, doch er hat wirklich keine Lust, sich auf eine Diskussion einzulassen, wie ihm der Ahorn ohne große Mühe ansehen kann. Er verabschiedet sich höflich und eilt ins Wirtshaus.
Im »Löwen« bestellt er sich ein knuspriges Wiener Schnitzel. Der Duft vorhin hat ihn sehr inspiriert. Der Wellmann wartet schon, hat aber noch gar nichts bestellt. Er wendet die Speisekarte hin und her. Schweinebraten. Kalbshaxe. Leberkäs. Blutwurst. Die Schwiegermutterzungen würden die Kalbshaxe empfehlen. Von der sind alle Gäste ganz begeistert. Nur der Wellmann nicht.
»Ich muss hier im Wirtshaus noch verhungern. Überhaupt nichts Brauchbares! Und Sie, Sie sollten sich diese tierischen Fett-, Antibiotika- und Cholesterinbomben auch verkneifen. Dann hätten Sie einen besseren Stoffwechsel und nicht immer so üble Laune.«
Als Vegetarier hat man in einem bayrischen Dorfgasthaus ganz, ganz schlechte Karten.
»Bestellen Sie sich doch ein Omelett, Wellmann.«
So wird’s gemacht. Wenigstens ist er nicht Veganer. Dann wäre er vollends verloren.
Der Wellmann stochert angewidert in seinem Essen herum. Hier schmecken sogar die Rühreier nach Schweinebraten, findet er. Wahrscheinlich hat der Berglmaier eierlegende Säue gezüchtet.
Sehr ungleich gesättigt verlassen die beiden Vertreter der Exekutive das Wirtshaus und begeben sich zum Sporthaus. Sie treffen den Eisinger unter der aufmerksamen Fichte an, wo er gerade sein eigenes Schaufenster bewundert. Im Zentrum prangt eine Allwetter-Softshell-Jacke. Dazu die wasserdichte, atmungsaktive, mit Hilfe von Reißverschlüssen zu Shorts verkürzbare erdfarbene Hose, die der Eisinger neulich dem Jens andrehen wollte. Wer diese Kleidungsstücke erwirbt, braucht sein Leben lang keine anderen mehr. Das erzählt der Eisinger jedenfalls seinen Kunden. Die Schaufensterpuppe schließt ihre Fäuste enthusiastisch um ein Paar Nordic-Walking-Stöcke und schreitet mit Goretex-beschuhten Füßen so energiegeladen aus, als ob sie gleich durch die Glasscheibe nach draußen brechen wollte. Für das Ambiente in der Auslage hat die Fichte ein paar Zweige lassen müssen.
»Schauen Sie, Herr Kommissar, das ist schon die neue Herbstkollektion. Ein erfolgreiches Bekleidungshaus muss der Zeit immer weit voraus sein. Übrigens … Sie könnten wohl auch eine neue Jacke gebrauchen? Ich hätte da ein paar sehr attraktive Auslaufmodelle. Nie mehr nass, weder auf dem Weg vom Regen in die Traufe noch auf dem Rückweg, das ist mein Motto. Witzig, nicht?«
Ich finde, irgendwie hat der Eisinger recht. Diese Leinentrachtenjacke, die der Stuhlinger immer trägt, sieht schon ziemlich durchgearbeitet aus. Und topaktuell ist sie auch nicht gerade. Vielleicht könnte der Jens dem Stuhlinger eine von seinen abgeben. Er hat ja mehr als genug.
»Danke für Ihr großzügiges Angebot. Im Moment brauche ich keine neue Jacke.«
»Wirklich nicht? Sind Sie da ganz sicher?«, fragt der Wellmann feixend dazwischen und redet gleich weiter: »Eigentlich wollten wir mit Ihrer Frau sprechen, Herr Eisinger. Ist sie im Geschäft?«
»Meine Frau ist heute nicht da. Sie ist nach München gefahren, Einkäufe erledigen. Sie können mich ruhig alles fragen, was Sie Jeannette hätten fragen wollen. Meine Frau und ich, wir haben keine Geheimnisse voreinander. Ganz im Gegensatz zu dem, was böse Zungen in diesem Ort behaupten. Alles Verleumdungen. Ich bin nur deshalb nicht juristisch dagegen vorgegangen, weil ich ein friedliebender Mensch bin. Meine Frau und ich, wir leben in perfekter Harmonie zusammen. Dass wir nicht dauernd händchenhaltend zu sehen sind, hat mit unserem Sinn für Anstand zu tun. Übrigens finde ich es ganz natürlich, dass den Dörflern die schmutzige Phantasie durchgeht, wenn sie Jeannette sehen. Sie nimmt sich hier schließlich aus wie eine Orchidee unter Runkelrüben. Der Schladerer war keineswegs der Erste, der ihr irgendwelche Obszönitäten angedichtet hat. Da brodelt die eigene unterdrückte Lüsternheit aus dem Unterbewusstsein herauf. Wer solche Behauptungen in die Welt setzt, diskreditiert damit einzig und allein sich selbst. Meine Frau und ich stehen weit über diesem Sumpf. Außer einer kurzen Verstimmung kann mir so
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