Roland Hassel - 14 - Piraten
am Knauf. Auch diese Tür war offen. Wir wußten, was wir tun würden.
Langsam öffnete ich. Wir huschten hinein und postierten uns zu beiden Seiten der Tür. Der kleine Flur lag im Dunkeln und enthielt nur einen Spiegel und einen kleinen Tisch, auf dem eine Kleiderbürste lag. Zur Rechten passierten wir die halboffene Tür einer winzigen Küche, die wohl lange Zeit nicht gereinigt worden war, denn es stank erbärmlich. Der Flur weitete sich und wurde etwas heller; durch das Fenster eines kleinen Schlafraums drang Licht. Darin stand ein bezogenes, zerwühltes Doppelbett, vor dem Kleidungsstücke in heilloser Unordnung herumlagen. Übrig blieb eine einzige Tür, hinter der sich offenbar das Wohnzimmer befand. Wieder lauschten wir den seltsamen Geräuschen. Es handelte sich offenbar um eine Frauenstimme, und die Schreie erhielten eine gewisse Substanz:
»… wieder … guggugguggugg … dein blondes Haar … gugguggugg … eine Träne … guggugug … Sommer … gugguggugg …«
Vorsichtig öffneten wir die Tür, schlichen uns hinein und teilten uns nach rechts und links. Wir hätten auf brüllenden Elefanten anrücken können, die Frau hörte uns sowieso nicht. Sie saß auf dem Sofa und hatte uns den Rücken zugewandt. Ein Kabel führte von der Stereoanlage zu ihren großen Kopfhörern. Wahrscheinlich versuchte sie, den Refrain eines Liedes mitzusingen und ersetzte den ihr unbekannten Text mit »gugguggugg«. Mit den Händen begleitete sie den Rhythmus der für uns nicht vernehmbaren Musik. Der Raum war muffig und schmutzig, auf dem Tisch stand eine Anzahl angetrunkener Wein- und Schnapsflaschen. Eines der schmierigen Gläser war umgekippt und ruhte in einer Lache, mit einem weiteren fuchtelte die Frau herum, wobei sie im Takt Rotwein auf ihr Haar und das Sofa spritzte.
»… wir zwei … gugguggugg … wärme mich … gugguggugg …«
Da sie offensichtlich allein war, entspannten wir uns. Von beiden Seiten umkreisten wir das Sofa. Ihr ganzer Körper zitterte mit der Musik, und sie hatte die Augen geschlossen, um sich besser konzentrieren zu können. Ihr Mund stand halb offen; mit Speichel vermischter Wein rann über das Kinn. Sie trug ein schmuddeliges Hemd und merkwürdigerweise Stiefel. Ich schätzte ihr Alter auf etwa ein halbes Jahrhundert, und die Jahre waren nicht gnädig mit ihr gewesen.
»… im Sand … gugguggugguggugg … in der Hand … gugguggugg …«
Sune machte sich wieder unsichtbar. Der Zwang zur Teamarbeit bestand nicht mehr, jetzt hatte er nichts mehr mit mir zu schaffen. Ich beugte mich herunter und stellte den Lautstärkeregler auf Null. Sie ließ sich nicht beirren und sang brüllend weiter. Aus den wenigen Worten schloß ich, daß es sich um das lyrische Meisterwerk eines Schlagertexters handeln mußte. Endlich fiel ihr auf, daß die musikalische Begleitung fehlte, und nach einem gegurgelten »gugguggugg« schlug sie die Augen auf und ließ den Blick schweifen.
»Wawawas?« stammelte sie. Sie war voll wie eine Strandhaubitze.
»Hallo«, grüßte ich.
»Hahalllo«, lallte sie als Erwiderung.
Ich setzte mein gutmütigstes Lächeln auf, wie ich es für besoffene Frauen in mittleren Jahren mit verschmiertem Lippenstift und angegrautem Haar immer in Reserve habe.
»Wo steckt denn Göte?« erkundigte ich mich.
»Gggöte?«
»Ja, Göte, mein alter Kumpel Göte Saxo.«
Ein Zeigefinger irrte durch die Luft und landete irgendwo in meiner Nähe. Sie strengte sich an, mich im Blick zu behalten. Damit sie mich nicht doppelt sah, mußte sie ein Auge zukneifen.
»Is da … Hen … ke?«
»Ja klar, Schätzchen, hier ist Henke. Ich muß meinen Kumpel Saxo sprechen. Weißt du, wo er ist?«
»Gggöte?«
»Ja, Göte, mein Kumpel Göte. Weißt du, wo ich ihn finden kann?«
Sie legte ihre Stirn in Falten, und es schien, als würde in ihrem alkoholisierten Gehirn noch ein Gedanke herumschwimmen.
»Mhmmm.«
»Heißt das ja?«
»Mhmmm.«
Sunes Miene zeigte Verachtung. Ihm wäre es wohl lieber gewesen, wenn wir nach dem Büttel gerufen und die Wahrheit auf dem Stortorget aus ihr herausgepeitscht hätten.
»Fein! Wo ist er?«
Der einsame Schwimmer in ihrem Hirn traf einen Kollegen und begrüßte ihn.
»In Träkwschta natürlich.«
»Ach da. Kannst du noch mal wiederholen?«
»Träkschwista.«
Sie versuchte wirklich, die Zunge zu steuern, aber die war fünf Zentimeter zu dick.
»Bei Srre.«
Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Es konnte lange dauern, bis ich ihre Sprache
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