Roland Hassel - 14 - Piraten
Geschwindigkeit zu verringern fuhr ich vorbei und hielt in einiger Entfernung am Straßenrand.
Das Nachbargrundstück war mit Bäumen bewachsen und bot mir gute Deckung. Zwischen den Stämmen hindurch huschte ich zur Hecke hinüber. Es war inzwischen so dunkel, daß ich von der Villa aus kaum entdeckt werden konnte. Formal war Saxo frei wie ein Vogel, aber ich betrachtete ihn eher als vogelfrei. Außerdem hatte ich keinen Sinn für Formalitäten. Hier war eine Teufelei im Gange, und ich wollte wissen, was für eine.
Ein Ast ragte über die Hecke. Mit Mühe erklomm ich ihn und hangelte mich zur anderen Seite hinüber. Die Villa war aus weißen Ziegeln und hatte schwarze Fensterrahmen. Die Jalousien waren heruntergelassen, doch durch die Ritzen drang ein schwacher Lichtschein.
Nahe an der Hauswand schlich ich weiter; der feuchtweiche Boden der Rabatten dämpfte meine Schritte. Ich kam an einen Treppenschacht, der zum Keller hinunterführte. Ich tastete mich hinab und prüfte die Tür. Sie war verriegelt und verrammelt. Ich stieg wieder hinaus und tappte weiter. Hinter der Ecke stieß ich auf eine weitere Kellertreppe. Auch hier war die Tür verschlossen.
Blieb nur der Haupteingang. Vier steinerne Stufen führten zu einem Podest, dessen Boden aus braun gestrichenen breiten Holzdielen bestand. Vier weiße Pfeiler stützten nach Herrenhausart den darüberliegenden Balkon. Die Tür war schwarz und oben abgerundet. Im Schloß steckte ein großer schwarzer schmiedeeiserner Schlüssel. Ich wollte ihn drehen, doch das war gar nicht nötig.
Ein leichter Ruck, und die gut geölte Tür schwang auf. Ich schaute in eine geräumige Diele, die in rustikalem Stil möbliert war. Die Wände waren weiß gekalkt; in der Mitte des Raumes lag ein kostbarer großer roter Teppich. Das Licht kam aus einer Reihe Wandleuchten aus Messing. Sollte ich mir die Schuhe ausziehen? Dieser Teppich würde meine Tritte ertragen müssen.
Ungesehen und ungehört schlich ich hinein, stellte mich auf den Teppich und lauschte angestrengt. Ich vernahm ein Knistern, wie wenn man trockene Zweige zerbricht. Als ungebetener Gast war ich gekommen, und nun hinterließ ich auch noch lehmige Fußabdrücke auf der teuren Matte. Ich setzte meine heimliche Wanderung im Haus fort. Eine breite Treppe, die aus Marmor zu sein schien und ein Geländer aus Messing hatte, führte ins Obergeschoß.
Außer jenem Knacken herrschte Totenstille; ein Schweigen, das schwer und unnatürlich war und gegen die Trommelfelle drückte. Eine solche Stille gibt es in Mietshäusern nicht, denn dort ist immer Leben. An der Wand hing eine moderne Uhr mit goldenem Gehäuse. Der Sekundenzeiger bewegte sich, doch nicht einmal das leiseste Ticken war zu hören. Ich leckte mir die trockenen Lippen. Das war kein Zeichen von Nervosität; ich war einfach gespannt und mit allen Sinnen dabei.
Irgendwo mußten sie sein, der bekannte Saxo und der unbekannte Sverre Aberg. Zur Rechten mündete die Halle in einen Bogengang, der zu einem großen Wohnraum führte. In einem Kamin brannte ein offenes Feuer; daher kam das Knistern und Knacken. Für gewöhnlich wirken solche Arrangements gemütlich, doch nicht in diesem Falle. Warum saßen die Herren nicht mit einem Drink am Kamin und stießen auf ihre Gewalttaten an?
Auch hier gab es Teppiche, die meine Schritte dämpften; kostbare Teppiche auf glänzendem Parkett. Darauf stand eine Sitzgruppe in blutrotem Leder, bestehend aus einem Drei- und einem Zweisitzer sowie zwei hochlehnigen Sesseln. Eine Mischung aus moderner Malerei in dünnen Rahmen und dunklen, in Gold eingefaßten Landschaftsmotiven zierte die Wände.
Als ich das große Sofa umrundete, stieß ich auf einen weiteren Teppich. Er war mit einer durchsichtigen Plastikfolie bedeckt. Darauf lagen, mit dem Gesicht nach unten, zwei menschliche Körper mit auf den Rücken gefesselten Händen. Sie waren furchtbar zugerichtet, mit allen greifbaren Gegenständen geprügelt, mit scharfen Messern zerschnitten, mit Beilen zerhackt. Der Tod war als barmherziger Erlöser gekommen.
Man hatte sie auf die Folie gelegt, damit ihr Blut nicht den schönen Teppich verdarb. Später würden sie, in Plastik eingerollt, im Wald vergraben oder in einen See versenkt werden. Jetzt hatte ich einen Grund, die Pistole zu ziehen und zu entsichern. Ich kniete neben den Körpern nieder, um sie auf den Rücken zu wälzen und mir die Gesichter anzusehen.
Blutige, zerschlagene, zerquetschte, zerschnittene Gesichter. Und dennoch
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