Roland Hassel - 14 - Piraten
Umständen Schiffbruch, doch sind solche Ereignisse auf See normal – Orkane, Auflaufen auf ein Riff, Verschiebungen der Fracht, Brände an Bord, Kollisionen, um nur einige Ursachen zu nennen. Ich rede von seetüchtigen Schiffen von seriösen Reedereien. Ein bestimmtes Risiko gehört zum Beruf. Es gibt keine unsinkbaren Schiffe, aber seriöse Reeder achten darauf, daß ihre Fahrzeuge in einem Zustand sind, der Risiken minimiert.«
Ich erinnerte mich, daß ich als Kind einmal eine Nacht auf einer weit draußen gelegenen Schäreninsel verbracht hatte. Am ersten Tag war das Meer spiegelglatt, am zweiten kochte es wie ein Hexenkessel. Ich hatte nie geglaubt, daß es solche Wogen geben konnte; ich war voller Angst und zugleich fasziniert von den entfesselten Kräften, die ich bis dahin nur aus dem Kino kannte. Für einen Stadtmenschen wie mich war es eine Naturkatastrophe, wenn der Wind einen Ast von einem Parkbaum riß und dabei eine Autoscheibe zu Bruch ging.
»Dann gibt es eine zweite Gruppe von Seeleuten, die in schwimmenden Leichenkisten umkommen. Manchmal sind die Schiffe nicht einmal klassifiziert und versichert. Sie fahren so lange, bis sie entweder sinken oder nicht mehr vom Kai wegkommen und verschrottet werden müssen. Es kommt auch vor, daß sie zwar klassifiziert, aber dennoch am Auseinanderfallen sind. Solche Kisten schwimmen massenhaft auf den Weltmeeren herum, und es wäre besser, den Besatzungen die Leichentücher gleich mitzugeben. Die Reeder sind unseriös, um es einmal höflich auszudrücken. Gesindel, wenn du mich fragst, Mörder auf Zeit, ähnlich wie die Drogenhändler. Ich könnte dir …«
Die Teller wurden weggeräumt; nun war es Zeit für das Schokoladenmousse. Hatte jemand etwas gegen Desserts gesagt? Wer kümmerte sich schon um Kalorien, außer ein paar Gesundheitsfaschisten …
»Nun ja, vielleicht ein andermal«, nahm Hiller den Faden wieder auf. »Ich will dich nicht langweilen. Langweile ich dich?«
»Nein, aber was du erzählst, ist nicht gerade neu für mich. Jeder, der lesen kann, ist über solche Geschichten mehr oder weniger informiert. Für Billigflaggen wie Panama gelten offenbar keine Gesetze, da kann man nichts machen. Ich unterschreibe keine Petitionen und nehme an keinen Demonstrationen teil. Ich will mit meinen Kräften haushalten, bis Dinge kommen, die ich aktiv beeinflussen kann, und selbst dann muß ich ordentlich motiviert sein.«
»Cappuccino?«
»Lieber Tee. Aber bitte nicht gerade Earl Grey.«
»Glaubst du mir, wenn ich dir verrate, daß die Meere heutzutage ein Dschungel ohnegleichen sind, ein Wasserdschungel, in dem furchtbare Monster lauern?«
»Meinetwegen. Wie so viele Mitbürger bin ich inzwischen bereit, alles zu glauben. Nichts ist unmöglich, Monster gibt es in jedem Element.«
Tee und Kaffee wurden aufgetragen. Hiller nahm noch ein Stück Gebäck dazu, aber ich lehnte dankend ab. Wenn man eingeladen ist, soll man nicht unverschämt werden, und außerdem wollte ich nicht in einer Schubkarre nach Hause gefahren werden. Hiller rührte in seiner Tasse und schwieg eine Weile. Dann erkundigte er sich:
»Du bist verheiratet und hast eine Tochter, nicht wahr?«
»Sie sind auf den Kanarischen Inseln, aber ich durfte nicht mit. Mein Paß ist eingezogen. Du weißt vielleicht, daß gegen mich ermittelt wird – wegen Raub und Mord an zwei Polizisten?«
»Das ist mir nicht unbekannt.«
»Fürchtest du dich nicht vor mir?«
»So gefährlich bist du nun auch wieder nicht.«
Er lächelte, und es war ein gutes Lächeln, ein halbes Simon-Lächeln, was bedeutete, daß es vier Meter breiter war als das der meisten anderen Menschen.
»Ich bin geschieden, aber ich habe ein gutes Verhältnis zu Monica und den Kindern. Ich war zuviel unterwegs; so einer taugt nicht für die Ehe. Eine Frau will einen Mann, mit dem sie über ganz gewöhnliche Dinge reden kann. Ich dagegen war besessen von einer Aufgabe, die mir bei Interpol übertragen wurde.«
Aha, nun kam er endlich zur Sache. Ich war durchaus ein wenig neugierig. Schließlich hatte er lange genug die Trommel gerührt für die Saltos, die jetzt folgen sollten.
»Und dann gibt es eine dritte Gruppe von Opfern – die sterben bei Schiffskatastrophen, die absichtlich herbeigeführt werden, um Versicherungsprämien zu kassieren. Man sprengt die Fahrzeuge dort, wo das Meer am tiefsten ist. Oft existieren keine Zeugen, und eventuelle Überlebende wissen nichts. Wir können nichts beweisen, doch wir sind sicher, daß so
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