Roland Hassel - 14 - Piraten
etwas im großen Maßstab geschieht. Wie nennst du es, wenn vielleicht vier- oder fünfhundert Menschen auf einmal umgebracht werden? Für Geld?«
Er legte mir das Wort in den Mund:
»Massenmord. Aber wenn es keine Beweise gibt und …«
»1975 starb einer der reichsten Männer der Welt, Sokrates Aristoteles Homer Onassis. Für viele war er ein großer Held; kein Luxus war ihm fremd. Der Goldjunge der High Society, mit Betonung auf Gold, wurde Anfang des Jahrhunderts in Izmir geboren. Er begann als Tabakhändler, merkte aber schnell, daß mit Schiffen mehr zu verdienen war. Mit geborgtem Geld finanzierte er den Kauf einiger ausgedienter Tanker. Einige davon gingen im Atlantik mit Mann und Maus unter. Bei ruhiger See explodierten sie ganz plötzlich. Die Schiffe waren enorm überversichert, aber er erhielt das Geld. Damit wurde er zum Machtfaktor; er hatte den Bogen raus. Andere Griechen kopierten die Methode und konnten sich ebenfalls mit dem legendären König Midas vergleichen. Die Griechen … aber das kann noch warten.«
»Gab es keinerlei Beweise gegen Onassis?«
Hiller schüttelte langsam den Kopf.
»Ein Sprengexperte, der möglicherweise um seine Bezahlung betrogen worden war, versprach aus Rache auszupacken. Er wohnte in der Nähe von Athen. Leider stürzte er aus seiner Wohnung im fünften Stock, kurz bevor die Polizei bei ihm eintraf. Ein tragischer Unglücksfall.«
»Nun ja. Aber, Carl, dieser Fall ist ein wenig zu alt für uns. Außerdem ist es nicht unser Zuständigkeitsbereich.«
Er nahm die Pfeife aus dem Mund und wies mit dem zerkauten Mundstück auf mich.
»Bisher konnte lediglich in zwei Fällen bewiesen werden, daß die Reeder selbst hinter den Sprengungen steckten. Der erste hatte einen Bezug zu Schweden. Einige Esten, die während des Krieges zu uns geflohen waren, starteten eine Reederei mit einem Schiff namens Energi, das in Panama registriert war. 1950 sank es, angeblich durch eine Mine. Wie gesagt, die trieben noch lange nach Kriegsende im Meer herum. Neun Mann riß es mit in die Tiefe. Die Reeder erhielten die Versicherung ausgezahlt. Die Sache wäre nie publik geworden, wenn nicht eine Frau, die mit einem der Esten liiert war, fünfzehn Jahre später Gewissensbisse bekommen hätte. Neun Tote! Genug, um von Massenmord zu sprechen. Die Hinterbliebenen jedoch erhielten keine müde Krone, denn für Kriegsschäden kamen die Versicherungen nicht auf.«
Schwach erinnerte ich mich an den Fall. War er nicht auf einem Weiterbildungskurs behandelt worden? Man kann sich nicht alles merken. Manchmal erinnert man sich nicht einmal an den Kurs.
»Was geschah mit den Reedern?«
»Sie wurden selbstverständlich verurteilt. Nach der Haftstrafe, die sie wegen mehrfachen Mordes verbüßten, kehrten sie in die Reedereibranche zurück. Der zweite Fall drehte sich um ein italienisches Schiff, das ›Cona‹ getauft war. Auf der Reise in den Fernen Osten explodierte es. Die Besatzung sollte mit untergehen, aber der Bug blieb über Wasser, so daß sechs der zwölf Besatzungsmitglieder von einem in der Nähe kreuzenden türkischen Schiff gerettet werden konnten.«
Er stopfte seine Pfeife, zündete sie jedoch nicht an.
»Die Reeder forderten eine Summe von 40 Millionen. Das Schiff hatte angeblich Hochtechnologie an Bord. Doch diesmal weigerte sich die Versicherung zu zahlen, weil zwei überlebende Seeleute einen Prozeß gegen die Reederei anstrengten. Es dauerte zehn Jahre, bis die Klage ernst genommen wurde und man Taucher hinunterschickte. Die Fracht bestand aus wertlosem Schrott, die Explosion war zweifellos absichtlich herbeigeführt worden. Die Reeder gingen für zwanzig Jahre ins Gefängnis, aber erst nach zehn Jahren beharrlichen Kampfes. Wenn der Plan gelungen und die ganze Mannschaft ertrunken wäre, hätten sie nichts zu befürchten gehabt.«
Hiller zündete ein Streichholz an und wollte es an den Pfeifenkopf halten. Ich blies es aus und zeigte auf ein Schild: Nichtraucherzone. Kommentarlos ließ er die Pfeife in der Tasche verschwinden. Was er erzählt hatte, war sicher interessant, aber ich hatte anderes im Kopf und konnte eine gewisse Enttäuschung nicht unterdrücken. Was hatte das mit mir zu tun? Ich verstand auch Simon nicht. Gewisse höhergestellte Persönlichkeiten behaupten ja, daß nichts über ein freies Mittagessen geht, aber die haben sicher andere Möglichkeiten zuzulangen.
»Möchtest du wissen, was ich bei Interpol mache?« fragte er.
»Suspendierte Greifer zum Lunch
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