Roland Hassel - 14 - Piraten
besteht darin, dich unter der Besatzung zu bewegen. Störenfriede werden sofort unschädlich gemacht. Du berichtest dem Kapitän über Stimmungen und eventuelle Verdachtsmomente. An der eigentlichen Operation nimmst du so aktiv teil, wie es die Situation erfordert.«
»Fein. Tja … falls ich in den Maschinenraum soll … ehrlich gesagt …«
»Natürlich nicht. Du wirst in der Kapitänsmesse arbeiten. Die Reise soll ganz normal verlaufen. Einige von der Besatzung kennen die Route, also darf nichts verdächtig erscheinen.«
»Und wohin geht es?«
Er warf mir einen ausdruckslosen Seitenblick zu.
»Eine kluge Regel sagt, man soll nicht so viel fragen. Was man wissen muß, bekommt man gesagt, wenn es soweit ist.«
»Mhm, verstehe.«
Hiller hatte mir erzählt, daß bei manchen zusammengewürfelten Besatzungen die Kapitäne mit dem Revolver unterm Kopfkissen schlafen. Das Risiko einer Meuterei ist groß, weil die alte Art der Disziplin an Bord nicht mehr funktioniert. Wenn die Besatzung aus verschiedenen ethnischen Gruppen besteht, kann es zu internen Auseinandersetzungen kommen, die im Bandenkrieg enden können. Dieselbe Gefahr besteht bei verfeindeten Religionen, wenn der Friedensfürst gerade auf einem anderen Schiff angeheuert hat.
Es gibt aber noch größere Risiken. In einigen Gewässern, vor allem in der Nähe bestimmter afrikanischer Staaten und vor diversen asiatischen Küsten lauern Piraten, die nicht weniger brutal vorgehen als ihre Vorgänger unter den gekreuzten Knochen des Jolly Roger. Sie verfügen über Schnellboote, entern Handelsschiffe und schießen auf alles, was sich bewegt. Dann wird die Fracht umgeladen und an der Küste verkauft. Im besten Fall zerstört man nur die Funkanlage und das Ruder, bevor man das Schiff verläßt; es kommt jedoch auch vor, daß alle an Bord erschossen und ins Meer geworfen werden.
Viele Reedereien weigern sich, durch die Piratengewässer zu fahren, aber andere können es sich nicht leisten, auf Aufträge zu verzichten und bewaffnen deshalb die Besatzung bis an die Zähne. Das mögen die Piraten. Friedliche Seeleute sind mit Entschlossenheit und Rücksichtslosigkeit leicht zu besiegen, und als Zugabe erhält man moderne Feuerwaffen.
Die Regierungen der betroffenen Länder werden mit Klagen überschüttet und versprechen, die Fälle zu untersuchen und die Täter abzuurteilen, aber alles verläuft im blutbesudelten Sand. Die Ermittler sind korrumpiert, die Polizisten bezahlt und die Minister entweder bestochen oder sogar Miteigentümer der Piratenflotte. Ihren Anteil an der Beute transferieren sie auf Konten in stabilen und diskreten Ländern. Wenn man wirklich wollte, wären die Piraten innerhalb einer Woche dingfest gemacht. Da man aber nicht will, ist die moderne Seeräuberei eine genauso lukrative und angenehm sichere Branche wie die Drogenindustrie, der Waffenexport oder der wachsende Sklavenhandel.
Wer glaubt, daß die Sklaverei mit dem amerikanischen Bürgerkrieg beendet wurde, irrt. Der Sklavenhandel war noch nie so umfangreich wie heute. Ich meine richtige klassische Sklaverei, mit Menschen in Ketten, die mit der Peitsche zu höheren Arbeitsleistungen angetrieben werden, auf Feldern weit von der Heimat, und sich nicht beschweren dürfen. Man schläft in bewachten Baracken, und wer versucht zu fliehen, wird sofort getötet. In gewissen Ländern Afrikas und Arabiens wird Sklavenhandel als ein traditionelles Geschäft angesehen. Sklavinnen im attraktiven Alter landen in Bordellen; natürlich gibt es verschiedene Grade der Hölle. Hiller hatte mir Berichte über Verhältnisse gezeigt, an deren Realität ich nicht glauben wollte. Die zahnlose UNO hat keine Macht, in sogenannte innere Angelegenheiten der Staaten einzugreifen, auch wenn es sich im Grunde um Verbrechen der widerlichsten Art handelt. Wenn man seine Sorglosigkeit und die gute Laune behalten will, sollte man sich nicht darum kümmern, was in der großen weiten Welt hinter Sundbyberg geschieht.
Leon hielt vor dem Dauerparkhaus von Arlanda und bat, in meinen Paß sehen zu dürfen. Er studierte ihn aufmerksam Seite für Seite und verglich ihn mit Eintragungen in einem kleinen Notizbuch. Wortlos reichte er ihn mir zurück; wieder hatte ich eine Prüfung bestanden. Er gab mir ein Kuvert.
»Wir fliegen getrennt nach Paris. Von dort geht es weiter nach London und von London nach Athen. Du checkst jedesmal aus. Vergiß dabei nicht, eventuelle Gepäckanhänger oder -aufkleber vom Seesack zu entfernen. Und
Weitere Kostenlose Bücher