Roland Hassel - 14 - Piraten
Wasser nichts erkennen konnte.
Leon sprach leise in ein Mobiltelefon, in einer Sprache, die ich nicht verstand, ja nicht einmal kannte. Wir fuhren an einem Kai entlang. Er suchte offenbar nach einem bestimmten Liegeplatz, denn er studierte aufmerksam die beleuchteten Nummern. Dann hielt er an, stellte den Motor ab, kurbelte die Scheibe herunter und zündete seinen ewigen Zigarillo an.
»Der Kapitän heißt Machec«, informierte er mich. »Er sagt dir, was du wann und wie machen sollst.«
»Gehst du mit auf die Reise?«
»Nein, bewahre. Wenn ich dich abgeliefert habe, ist mein Teil an der Operation erledigt. Solltest du so zuverlässig arbeiten wie dein Bruder, werden wir uns bald wiedersehen.«
»Wer bezahlt anschließend?«
Immer geschäftsmäßig oder besser gesagt, gierig, das war Odlers Stil, und Leon war keinesfalls verwundert.
»Möglicherweise ich.«
Ein leises Motorengeräusch erklang; es wurde lauter und erstarb schließlich. Ein kleines Boot hatte am Kai festgemacht. Leon stieg aus dem Wagen, und ich folgte ihm. Gemessen grüßte er den Mann, der an dem Außenbordmotor saß. Dann reichte er mir die Hand.
»Unsere Wege trennen sich jetzt. Ich hoffe wirklich, daß wir in dir den richtigen Mann gefunden haben.«
»Auf Johnny Odler ist Verlaß«, versicherte ich.
Auf diese großspurige Bemerkung hin rümpfte er leicht die Nase.
»Es dauert lange, bis wir jemandem trauen. Das hat nicht einmal dein Bruder geschafft. Aber wir rechnen damit, daß du nicht gegen deine eigenen Interessen verstoßen wirst. Wenn du uns in die Quere kommst, werden wir natürlich dafür sorgen, daß du nicht mehr lange lebst.«
Omerta, so lautet der klassische italienische Mafiaausdruck. Totales Schweigen oder der Tod; ein Prinzip, das alle verbrecherischen Organisationen übernommen haben, weil es so fundamental effektiv ist. Die Wahl ist fiktiv, da beide Alternativen auf dasselbe hinauslaufen: Schweigen.
»Ich will reich werden.«
»So muß es klingen! Wir werden dich reich machen. Happy boating!«
Der Mann im Boot reichte mir die Hand, und ich stieg hinunter. Sobald ich auf der Bank saß, fuhr er zur Reede hinaus und kreuzte zwischen den vor Anker liegenden Schiffen. Im Dunkeln waren verschiedene Geräusche zu hören; weiter entfernt surrte ein anderer Bootsmotor wie eine Mücke, dumpf dröhnte eine eingesperrte Maschine aus einem Schiffsrumpf, vom Hafen klang Gitarrenmusik aus einer offenen Kneipentür herüber, ein Frauenlachen von einem Vergnügungskahn flog auf leichten Schwingen heran, dazu kamen das Klingen einer Schiffsglocke und das glucksende Wispern der Wellen, die von den Geheimnissen der Tiefe erzählten.
Das Motorboot beschrieb eine Kurve und ging längsseits eines Schiffes, dessen schattengleicher Rumpf nur schwach beleuchtet war. Der Schein der Taschenlampe erfaßte eine Leiter. Unsicher erhob ich mich und kletterte hinauf, wobei ich mich krampfhaft an den Stricken festhielt. Was zum Teufel hatte ich hier verloren? Der Mann kam mir nach und trug meinen Seesack.
Auf Deck erwartete mich ein kleinwüchsiger Mann und gab mir ein Zeichen, ihm zu folgen. Ich übernahm meinen Seesack und wankte nach achtern. Ich hoffte, daß ich den Gang eines erfahrenen Seemannes perfekt nachahmte. Wir betraten einen Gang, der durch kleine Lampen erhellt wurde. Umschauen konnte ich mich später; jetzt mußte ich mich auf die erste Begegnung mit dem Kapitän konzentrieren. Die Treppen zu seiner Kajüte waren zwar steil, aber doch fest und bereiteten mir keine Probleme. Der kleine Mann hatte kurzgeschnittenes Haar, einen schwarzen Schnurrbart und unrasierte Wangen. Da er vor mir ging, konnte ich die Fettwülste im Nacken sehen. Aus welchem Teil Asiens stammte er? Er blieb vor einer Kajüte stehen, klopfte und öffnete die Tür, ohne auf eine Aufforderung zu warten. Er nickte mir zu hineinzugehen und machte die Tür dann hinter mir zu.
Ein Mann saß an einem Tisch; vor ihm lagen Papiere. Er war etwa vierzig und hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht, ein richtiges Pokerface, von dem sich nichts ablesen ließ. Groß, mager, aber dennoch muskulös, glich er einem Tiger, der zwar ruhig scheint, aber dennoch immer auf dem Sprung ist. Sein weißes Hemd war am Hals aufgeknöpft. Er erhob sich und reichte mir die Hand. Seine Finger waren so lang, daß sie meine ganze Faust umschlossen. Er lächelte mich an; dabei traten seine Wangenknochen noch stärker hervor.
»Setz dich, Odler. Du bist im letzten Moment an Bord gekommen. Ich
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