Roland Hassel - 14 - Piraten
von den schmorenden und brutzelnden Gerichten. Erst jetzt sah ich, daß seine Ohren wie kleine Segel vom Kopf abstanden. Unter der Schürze wölbte sich ein kugelrundes Bäuchlein, womit sich bestätigte, daß eine ganze Mannschaft verhungern kann, der Koch aber niemals.
»Sunny, kannst du mir erklären, warum ich auf der ›Carla‹ angemustert habe, du jedoch auf der ›Farlon‹ arbeitest?«
Gleichgültig zuckte er die Schultern,
»Das Schiff ist wohl wieder einmal verkauft worden.«
»Verkauft?«
»Ich fuhr einmal auf einem Kahn, der seinen Namen auf einer einzigen Reise dreimal wechselte. Heutzutage weiß man nie. Spielt keine Rolle, wer kauft, Hauptsache, er bezahlt. Vielleicht heißen wir jetzt ›Carla‹ – mein Hähnchencurry bleibt dasselbe.«
In Gedanken versunken trottete ich in meine Kabine zurück und streckte mich in meiner Koje aus. Die Hände unter dem Kopf verschränkt, starrte ich an die Decke. Hier gab es nicht so viele Kakerlaken, aber trotzdem stopfte ich die Socken in die Schuhe und stellte diese auf den Hocker.
Falls die »Farlon« ihren Namen in »Carla« änderte, war es dennoch nicht die »Carla«, die Hiller aus dem Register kannte. Welche »Carla« war es dann? Was war mit der anderen geschehen? War sie gesunken; würde Hiller glauben, ich wäre mit ihr untergegangen? Rätsel und Probleme, bei denen mir nur Hiller helfen konnte, und der war Tausende Seemeilen entfernt.
Ich erwachte aus einem tiefen, traumlosen Schlaf mit einer starken Unruhe, einem Gefühl, daß etwas nicht stimmte. Durch das kleine Kabinenfenster konnte ich sehen, daß der Morgen graute und ein leichter Regen fiel. Die Unruhe nahm zu. Ich setzte mich auf und spähte in alle Richtungen. War ich nicht allein in der Kabine? Aber es gab keinen Platz, wo sich jemand hätte verstecken können.
Dann begriff ich, was mich geweckt hatte. Der Anker war gelichtet worden; das Maschinenherz des Schiffes hatte zu schlagen begonnen. Barfuß stellte ich mich zwischen die fliehenden Kakerlaken und spähte hinaus, doch ich konnte nichts anderes erkennen als graues Wasser und ein paar andere Schiffe, die in verschiedene Richtungen fuhren und weiße Streifen auf der Wasseroberfläche hinterließen.
Schnell brachte ich mich in Ordnung. Das Rinnsal aus dem Wasserhahn mußte zum Rasieren meines Schädels reichen; Hiller hatte mir dafür einen Spezialapparat besorgt. Für die eigentliche Rasur verwendete ich einen Elektrorasierer, weil Johnny Odler einen besessen hatte, aber ich mochte ihn nicht. Da ich verschwitzt war, warf ich mir ein Handtuch über die Schulter und suchte nach dem Duschraum für die Mannschaft. Dort traf ich auf einen jungen Mann unter dreißig, der bei meinem Anblick zur Salzsäule erstarrte und sich dann hastig abtrocknete, um schnell verschwinden zu können. Dabei beobachtete er mich, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Seine glatte Bronzehaut glänzte wie eingeölt, er hatte kein Gramm Fett auf dem Körper und wirkte mit seinen Muskelpaketen wie ein gut durchtrainierter Mittelgewichtsboxer.
»Hallo, ich bin Johnny. Habe gerade angemustert.«
Er stellte sich vor mich und starrte mich kalt an. Manchmal täuscht man sich ja wegen der für Asiaten typischen Augenform, aber dieser Blick war wirklich gnadenlos, und die dünnen Lippen bildeten einen harten Strich. Er reichte mir nur bis zur Schulter, doch das schien ihm nichts auszumachen.
»Arbeitest du auf Deck oder im Maschinenraum?«, erkundigte ich mich, um eine Konversation zu beginnen.
Aus seinen Augen, schwarzen Steinkugeln, sprühte Haß, und ich konnte nicht verstehen warum. Soweit ich wußte, waren wir uns nie zuvor begegnet. Plötzlich spuckte er mir mitten ins Gesicht, warf mir noch einen letzten haßerfüllten Blick zu und verließ die Dusche. An seinen gespannten Oberarmmuskeln sah ich, daß er mich beinahe geschlagen hätte.
Die Dusche funktionierte schlecht, und ich hüpfte von Strahl zu Strahl, um wenigstens naß zu werden. Ich tröstete mich damit, daß diese Bedingungen für alle galten – außer für die Offiziere. Es steht ja auch in der Bibel: Wer da hat, dem wird gegeben.
Einen Feind hatte ich also schon an Bord und das war nicht gut. Spucke läßt sich wegwischen, aber wie beseitigt man den Haß? Besonders, wenn er Ursachen hat, die einem unbekannt sind und die man also nicht beeinflussen kann. Als ich mich abgetrocknet hatte, ging ich in meine Kabine zurück und zog die Kellnerkluft über. Die weiße Jacke spannte über den
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