Roland Hassel - 14 - Piraten
Verfall und Verwahrlosung, wohin man auch schaute. Schimmel, Rostflecken, Schrammen, Risse, Splitter, verrottetes Holz, Schmutz, Dreck und allgemeine Schlampigkeit. Kakerlaken.
Als ich das Tablett mit dem Geschirr und den übriggebliebenen Speisen aus der Offiziersmesse holte, war der erste Maschinist gekommen. Niemand sah mich, ich war Luft, ein weißgekleideter Lakai, den man ignorierte. In der Kombüse war Sunny dabei, das Mittagessen zuzubereiten. Die Runzeln seines Rosinengesichts hatte er in melancholische Falten gelegt.
»Wir haben nicht einmal einen Steward an Bord, der für den Einkauf zuständig ist. Das hat der Kapitän übernommen; natürlich, um Geld zu sparen. Aber schau doch, was ich an Lebensmitteln bekommen habe. Erst dachte ich nur, daß sie minderwertig wären, doch jetzt weiß ich, daß sie ungenießbar sind.«
Zur Demonstration hielt er eine Mohrrübe in die Höhe.
»Zwei Drittel mußte ich wegschneiden. Ich kann doch kein verfaultes Gemüse auf den Tisch bringen! Das gibt Aufruhr!«
»Verdammt, diese geizigen Reeder«, fluchte ich mit.
»Das Hammelfleisch ist von miesester Qualität und wird bald verdorben sein. So lange es geht, versuche ich, den Geschmack mit meinen Soßen zu retten, aber glaub mir, Johnny, bald werden sich die Leute beschweren.«
»Wir sind schließlich Menschen«, sagte ich mitfühlend.
»Für gewisse Reeder offenbar nicht. Und wer bekommt die Schuld für schlechtes Essen? Der Kapitän? Die Reederei? Nein, man macht Sunny verantwortlich. Der Koch muß immer den Kopf hinhalten.«
»Das wird anders, wenn du für Isabella und alle Kinder und Enkel kochst«, tröstete ich ihn.
Bei dem Gedanken an die geliebte Familie hellte sich seine Miene sofort auf.
»In unserer Kultur ist es nicht üblich, daß Männer das Essen zubereiten. Wenn ich abgemustert habe, werde ich keinen Topf mehr anfassen. Isabella ist keine besonders gute Köchin, aber was sie zustande bringt, schmeckt besser als alle Festessen, die ich kreiert habe, wenn der Kapitän hohe Gäste an Bord hatte.«
Weil ich das ganze Schiff kennenlernen wollte, beschloß ich, in den Maschinenraum hinunterzusteigen und mich mit denen bekannt zu machen, die dort arbeiteten. Sofort bereute ich meinen Entschluß. Wie konnte es hier jemand freiwillig aushalten? Oben roch es penetrant nach Diesel, aber das war gar nichts gegen diesen infernalischen Ölgestank. Überall tropfte es aus defekten Leitungen und sammelte sich auf dem Boden in kleinen Pfützen, so daß man Gefahr lief, wie auf Glatteis auszurutschen. Dicke Rohre liefen kreuz und quer, dazwischen schlängelten sich Kabelstränge; Schränke mit kaputten Türen gaben den Blick auf Sicherungen frei. Die Maschinen dröhnten einem ins Gehirn hinein; der Lärm war teuflisch.
Eine Hand auf meiner Schulter ließ mich herumfahren. Der Mann war in mittleren Jahren, dick und trug ein schweißgetränktes T-Shirt mit Ölflecken. Da er gutmütig aussah, grinste ich ihn an und schrie, daß ich nur mal gucken wolle, doch der Krach erstickte meine Worte. Er machte eine Handbewegung, daß es ihm egal wäre, doch in seiner Lärmzentrale wollte ich ohnehin nicht bleiben.
Da stellte sich mir plötzlich ein anderer Mann in den Weg. Ich erkannte ihn wieder; er war es, der mich in der Dusche angespuckt hatte. Er verzog das Gesicht und ballte die Fäuste, als wollte er mir die Seele aus dem Leib prügeln. Ich lächelte ihn kameradschaftlich an, doch er versetzte mir einen Stoß, der mich gegen die Rohre taumeln ließ. Ich spannte die Muskeln, denn er schien sich auf mich stürzen zu wollen, doch der Dicke packte ihn am Arm, während er mir ein Zeichen gab, auf dem schnellsten Weg zu verschwinden; lange könne er den Tiger nicht bändigen. Johnny Odler war kein Held, also trollte ich mich wieder auf Deck und genoß die frische Mittelmeerluft und die relative Stille.
Was zum Teufel hatte ich ihm getan? Warum ging er in die Luft, wenn er mich sah? Wie für alles gab es wohl auch dafür eine Erklärung. Jedenfalls wußte ich jetzt, wie der Maschinenraum aussah, und der Eindruck reichte mir für den Rest des Lebens. Wer konnte wissen, wie groß dieser Rest noch war …
Sunny teilte mir mit, daß der Kapitän vor dem Lunch Kaffee serviert haben wollte; eine Kanne mit dem duftenden, starken Getränk stand schon auf dem Tablett, dazu Milch, Zucker und eine kleine Dose Kekse. Vor der Kombüse stampfte ich abwechselnd kräftig mit den Füßen; das war mir zur Routine geworden, um die Kakerlaken
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