Roland Hassel - 14 - Piraten
Mercedes gehört einem kleinen Einmann-Unternehmen auf der Insel Jersey. Der Inhaber ist über 80 und lebt allein. Er ist so verwirrt, daß er glaubt, der Zweite Weltkrieg wäre noch im Gange. Eine Sekretärin kümmert sich um die Geschäfte, die von selbst laufen, doch über den Wagen weiß sie nichts. Er dagegen behauptet, das Auto verliehen zu haben, aber keinen Mercedes, denn von Hitler produzierte Marken fährt er nicht.«
Ich hatte in meiner wechselvollen Karriere schon viele senile Personen getroffen, die durchaus wichtige Informationen geben konnten. Es kostet allerdings Nerven, einem Kopf, der kaum noch zum Denken benutzt wird, Fakten zu entlocken.
»Wer ist dieser Mitio, der die Besatzung anheuerte?«
»Ein kleiner Makler in Bangladesch. Er behauptet, es sei reine Routine gewesen. Er ist oft in Manila und arbeitet dort mit Untervertretern zusammen. Weiter sind wir mit ihm nicht gekommen.«
Er schob den Stuhl zurück und verkündete:
»Also, wenn du nicht frühstücken willst – ich halte es nicht länger aus. Mein Motor braucht Kraftstoff, laß uns in die Küche gehen!«
Auf dem Weg dahin kamen wir an einem Raum vorbei, in dem ein paar mächtige Computer standen und mich mit leeren Monitoraugen anglotzten. Wie würden sie schauen, wenn sie all die Milliarden Informationen von den Festplatten mit ihrem eigenen Willen verbinden könnten? Das Thema mußte die Verfasser von Science-fiction-Romanen reizen. Wie ich aus dem Jules-Verne-Magazin wußte, das ich in meiner Kindheit verschlungen hatte, liebten sie Roboter, die sich selbständig machten, und Maschinen, die den Gehorsam verweigerten und statt dessen Massen von anderen Maschinen produzierten, die als feindliche Soldaten auftraten. Glücklicherweise gab es immer einen Wissenschaftler, der als verrückt galt, doch nun freie Hand bekam und die Sache deichselte. Zum Schluß gewann er wahrscheinlich noch die Liebe einer schönen Frau, aber daran erinnerte ich mich nicht mehr so genau. In diesem Genre spielt die Liebe keine so große Rolle. Solchen Schriftstellern muß es heutzutage dreckig gehen, schoß es mir durch den Kopf. Der Durchschnittsbürger wird mit dem Unfaßbaren zunehmend im alltäglichen Leben konfrontiert, wozu dann noch phantastische Geschichten?
Das Büro befand sich in einer ehemaligen Wohnung, und die Küche war so eingerichtet, daß eine kleine Familie ihre täglichen Mahlzeiten dort einnehmen konnte. Sie war frisch renoviert, und während Hiller mit Steakpfanne und Mikrowelle hantierte, schaute ich aus dem Fenster. Ich blickte genau auf die runde Rückseite des Kinos »Draken«. Zu meiner Zeit war der »Draken« einer von vielen Filmtempeln auf Kungsholmen, doch jetzt gab es nur noch diesen einen auf der ganzen Insel. Er trauriges Kapitel, über das ich bei Gelegenheit Tränen vergießen würde.
»Setz dich. Trink etwas! Der Orangensaft ist frisch gepreßt.«
Mit gutem Appetit verputzte er sein kontinentales Frühstück, und ich trank in kleinen Schlucken Juice aus der elektrischen Presse. Hiller war verwöhnt; es würde ihm nicht einfallen, Muskelkraft zu vergeuden und Saft von Hand zu pressen.
»Darf ich dir eine persönliche Frage stellen, Rolle?«
»Daran kann ich dich erfahrungsgemäß nicht hindern.«
Er wischte sich Fett vom Kinn und goß starken Kaffee in eine winzige Tasse.
»Bist du noch derselbe wie zuvor? Verstehst du, was ich meine?«
»Mhm. Daß man sich verändert, wenn man so viele Menschen sterben sieht? Menschen, die man kennen- und schätzengelernt hat?«
»Ungefähr das meine ich.«
Natürlich hatte ich darüber nachgedacht, war jedoch vor der Konsequenz zurückgeschreckt. Ich wollte mich nicht mehr verändern, ich hielt mich für fertig, reif und ausgebacken. Gewiß, dem alten finsteren Gemälde war ein schwarzer Strich hinzugefügt worden, doch es hing unbeachtet an einem imaginären Nagel.
»Ich habe … das Böse auch vorher schon gesehen«, murmelte ich. »Aus nächster Nähe. Wenn ich mich nennenswert verändern könnte, wäre es damals geschehen.«
»Ich weiß; ich kenne deine Geschichte. Man hat dir ganz schön zugesetzt. Aber dennoch, Rolle, so viele Tote auf einmal, und auf diese furchtbare Art und Weise!«
»Müssen wir darüber reden? Wenn du denkst, daß du mein persönlicher Psychotherapeut werden und mich auf der schwarzen Couch zum Heulen bringen kannst, hast du dich geschnitten! Wenn ich wahnsinnig werden will, brauche ich keine Hilfe dazu!«
Wie eine gute Hausfrau wusch er Besteck
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