Rolandsrache
verpasste er der Tür einen Tritt, worauf sie schwer ins Schloss fiel.
Dunkelheit umgab sie erneut, und Anna nahm nur noch zwei Schatten wahr, die aufeinander zustürzten. Claas und Heinrich rangen miteinander.
»Gib den Weg frei«, drohte Claas, doch der Priester lachte höhnisch. Es gab ein dumpfes Geräusch. Bücher fielen zu Boden, ein Stuhl wurde umgestoßen, kippte vor ihre Füße. Sie drängte sich an die Wand, versuchte, mehr zu hören als zu sehen. Die Schatten der beiden Männer schlugen wild aufeinander ein, gingen zu Boden, kämpften dort weiter.
Plötzlich wurde Anna von den Beinen gerissen und schlug mit dem Kopf an. Sie verlor das Bewusstsein.
Als Anna wieder zu sich kam, lehnte sie an der Wand. Ihre Hände und Füße waren zusammengebunden, und das raue Seil kratzte auf ihrer Haut. In ihrem Mund steckte ein trockenes Tuch. Eine Kerze erleuchtete jetzt wieder spärlich den Raum. Blinzelnd sah sie sich um und entdeckte einen Mann regungslos in einer Blutlache. Claas! Ihr erstickter Schrei kam wegen des Knebels nicht über ihre Lippen. War er tot? Tränen schossen ihr in die Augen und nahmen ihr die Sicht. Claas! Alles in ihr schrie seinen Namen.
Heinrich, der gerade ein Bündel packte und ihr den Rücken zugedreht hatte, wandte sich nun um. »Ihr habt sicher hiernach gesucht.« Er wedelte mit der Urkunde des Kaisers vor ihrer Nase herum. »Aber ehe sie noch Schaden anrichten kann, sieh her.«
Vor ihren Augen hielt er das Dokument über die Kerze, und sofort ging es in Flammen auf. Noch einen kurzen Moment hielt Heinrich es an einer Ecke fest, dann fiel es zu Boden und verbrannte, bis nur noch ein verkohlter Rest übrig war. In Heinrichs Augen trat ein triumphierender Ausdruck.
Anna rannen die Tränen über die Wange und verfingen sich in ihrem Knebel. Ihr war die Urkunde egal, ihr Blick hing an dem leblosen Claas. Sie war es, die ihn gedrängt hatte, hier einzubrechen. Und nun war er tot. Verwehrt hatte sie sich ihm und gefordert, ihre Ehe aufzulösen, obwohl sie ihn liebte, über alles liebte. Das wusste sie jetzt, doch es war zu spät.
»Gräme dich nicht, weil ich dich fesseln musste. Schau …« Er deutete auf Claas. »Ich habe dich von ihm befreit, darüber solltest du froh sein. Wie seid ihr mir eigentlich auf die Spur gekommen?«
Anna schwieg und starrte ihn nur hasserfüllt an.
»Ich verstehe.« Er neigte den Kopf zur Seite, und seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Weiß noch jemand davon?«
Fieberhaft überlegte sie. Konnte eine Lüge die Rettung sein? Sie nickte.
Auf Heinrichs Gesicht spiegelte sich Enttäuschung wieder. »Dann müssen wir fort. Ich werde dich mitnehmen, Anna. Auf dass wir beide ein gemeinsames Leben beginnen können.« Er strich ihr sanft über die Wange. »Wir werden fern von Bremen als Mann und Frau leben. Es wird dir an nichts mangeln. Ich werde für dich sorgen, und du wirst mir ein treues Eheweib sein und vielleicht sogar unsere Kinder großziehen.«
Anna sah Heinrich mit weit aufgerissenen Augen an. Dieser Mann war dem Wahnsinn verfallen! Sie trat mit den Füßen wild um sich.
»Verhalte dich ruhig. Wir wollen doch beide nicht, dass deiner Mutter etwas passiert, oder?«
Seine Worte ließen sie erstarren. Sie wusste, dass er jedes davon ernst meinte.
»Oder möchtest du sie selbst aus der Weser fischen?«
Sie hatte das Gefühl, als greife eine eisige Hand nach ihrem Herzen. Langsam schüttelte sie den Kopf.
»So ist es recht. Wir wissen doch, dass wir füreinander geschaffen sind, das waren wir schon immer. Ich hatte zwar geplant, als Erzbischof über das Bistum zu herrschen, aber ein Leben mit dir tausche ich dafür gern ein.«
Er beugte sich zu ihr hinunter, nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Anna versuchte, ihren Kopf wegzudrehen, aber es gelang ihr nicht. Der Geruch nach Schweiß kroch in ihre Nase, und ihr Magen zog sich zusammen.
»Wir werden noch in dieser Stunde die Stadt verlassen.« Er zog die Tracht einer Nonne aus seinem Bündel. »Hier haben wir jetzt nichts mehr zu schaffen. Dies wirst du anziehen.« Damit legte er ihr das Gewand vor die Füße. »Ich werde dir dabei helfen.«
Er zog sie auf die Beine. »Und bitte sei nicht dumm«, flüsterte er ihr ins Ohr und band ihre Hände los. Mit geübten Handgriffen half er ihr in die Tracht und band ihre Hände anschließend wieder zusammen.
Anna heftete ihre Augen auf Claas, hoffte, erkennen zu können, ob seine Brust sich hob und senkte, aber
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