Rolandsrache
aus dem Bündel und schnitt wieder etwas Brot und Käse für sie ab. Anna aß und beobachtete, wie er das Messer zusammen mit dem Brot neben sich legte. Einen Moment lang schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, es zu nehmen und zuzustechen, doch sie wusste, dass er ihr körperlich überlegen war, und so verwarf sie diesen Gedanken.
»Heinrich, darf ich dich etwas fragen?«
»Alles was du willst, mein Liebchen.«
»Warum wolltest du die Figur zerstören lassen?«
Seine Miene verfinsterte sich. »Bremen will sich klammheimlich unserer kirchlichen Führung entziehen. Als zukünftiger Erzbischof konnte ich das nicht zulassen. Das Bistum bringt eine Menge Münzen ein.« Er reichte ihr den Wasserschlauch.
»Um deinen Vater tut es mir wirklich leid. Der Narbige und seine Mannen sollten niemanden töten. Ein Armbruch hätte genügt, damit sie nicht rechtzeitig fertig werden. Leider habe ich zu spät von dieser Urkunde erfahren. Dann wäre der Überfall nicht nötig gewesen. Der Rat kann so viele Figuren zur Schau stellen, wie er will, ohne das Dokument des Kaisers sind sie wertlos.«
»Woher wusstest du von der Statue?«
»Von Gudrun und Rudolfus.«
»Dann arbeitet dieser Büttel also schon länger für dich?«
Heinrich lachte erneut. »Ja. Der würde für ein paar Groschen seine eigene Frau verraten.«
Das passte zu dem Bild, das sie von Rudolfus gewonnen hatte. »Und woher wusste er von der Statue?«
»Du stellst sehr viele Fragen, mein Kind.«
»Ich wüsste nur gern, wie alles zusammenpasst. Kannst du das nicht verstehen?«
»Doch.« Sanft strich er ihr über den Kopf. »Rudolfus hat für mich die Ratsherren belauscht.«
Anna nutzte seine Stimmung aus. »Und was ist mit Gudrun und Georg geschehen?«
»Weibliche Neugierde.« Heinrich lachte. »Aber gut, ich will es dir erzählen. Georg hat die Badehure für mich beseitigt. Sie begann, Scherereien zu machen. Kein Mensch wird um sie trauern, und ich habe die Welt von einer schamlosen Sünderin befreit. Georg wurde unvorsichtig und raffgierig. Er hätte dir nicht nachstellen sollen.«
»Aber wenn wir zwei wie Mann und Frau leben, ohne verheiratet zu sein, ist es dann nicht auch Sünde?«
Heinrich stierte gedankenverloren ins Feuer, sagte aber nichts, und so hielt sie es für besser, nicht weiter nachzuhaken.
Stattdessen fiel ihr Blick auf das Messer, das neben ihm lag. Wenn sie es nur an sich nehmen könnte, dann hatte sie vielleicht eine Chance.
Sie deutete auf die Weser. »Ich muss die Wunde an meinem Knie abspülen.«
Heinrich kehrte offenbar in die Gegenwart zurück. »Mach das. Ich werde dich begleiten, nicht, dass du noch ins Wasser fällst.« Er lächelte schief, doch seine Augen waren wachsam. Zu ihrer Enttäuschung griff er sich das Messer, steckte es sorgfältig ein und erhob sich. Auch Anna stand auf und ging vor ihm ans Flussufer.
»Drehst du dich bitte um?« Sie schenkte ihm ein liebliches Lächeln, doch innerlich tobte der Hass. Heinrich errötete und drehte ihr den Rücken zu.
Nachdem sie sich gewaschen hatte, bedeckte Heinrich sie mit einer kleinen Decke. »Du solltest etwas schlafen.«
Sie war wirklich todmüde, doch was würde er tun? »Und wirst du dann wie ein Tier über mich herfallen?«
»Müsste ich dazu warten, bis du schläfst?«
Sie schüttelte langsam den Kopf. Wenn er sie schänden oder töten wollte, hätte er es tatsächlich schon längst tun können.
»Ich werde nichts tun, was du nicht willst«, versicherte er.
In diesem Moment glaubte sie ihm, und kaum dass sie ihre Augen geschlossen hatte, schlief sie erschöpft ein.
Claas hatte in ihren Träumen traurige Augen und rief dauernd ihren Namen. Sie wollte antworten, doch ihr Kopf war unter Wasser und kein Laut drang über ihre Lippen. Er suchte vergeblich nach ihr und schlug verzweifelt mit dem Hammer auf den Roland ein, bis dieser zu bluten begann. Weinend wachte Anna auf.
Heinrich hatte alles zerstört, ihre Liebe und damit ihr Leben. Dieser Mann saß ihr abgewandt am Feuer und bemerkte nicht, dass sie wach war. Anna ließ ihren Tränen freien Lauf. Unendliche Traurigkeit, ein Gefühl, das sie stundenlang unterdrückt hatte, brach aus ihr heraus. Innerhalb weniger Monate hatte sie zwei ihrer liebsten Menschen durch Heinrichs Schuld verloren. Sie hasste ihn mit einer Heftigkeit, dass es wehtat, und sie hasste sich selbst dafür, dass sie so unfähig war, etwas gegen ihn zu unternehmen.
»Heilige Anna. Halte deine Hand schützend über meine Mutter. Gib auf sie acht,
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