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Rolandsrache

Rolandsrache

Titel: Rolandsrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Riedt
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Wollmütze und die Fäustlinge an, die sie im Sommer unter Mutters Anleitung selbst gehäkelt hatte.
    Als sie vor die Tür trat, blies ihr ein eisiger Wind entgegen, doch der Himmel war klar und die Sonne schien, auch wenn sie keine richtige Wärme spendete. Bei dem milden Tauwetter der vergangenen Tage war der Boden erst aufgeweicht und nun wieder gefroren, wodurch die Wege zu kantigen Pfaden geworden waren. Anna machte einen Abstecher in den Stall, um zu sehen, ob es den beiden Pferden gut ging. Als sie die Scheunentür aufstieß, blieb sie verwundert stehen. Maria, die Stute, mit der sie so gern ritt, fehlte.
    Claas war heute sehr zeitig aufgestanden und hatte bereits das Haus verlassen, als sie zum Frühstück heruntergekommen war. Sie hatte ihn bei seinen Brüdern in der Werkstatt gewähnt, aber offenbar irrte sie sich. Einen Moment überlegte sie, wohin es ihn getrieben haben konnte, doch ihr fiel nichts ein, und so machte sie sich auf den Weg zur Kräuterfrau, die kurz vor den Toren der Stadt wohnte.
    Nach den staubigen Tagen in der Werkstatt genoss Anna die klare Luft und atmete ein paarmal tief ein, während sie beobachtete, wie die Kolkraben sich nahe der Häuser um Unrat balgten. Hatte einer etwas erbeutet, flog er eilig auf den nächsten Baum und vertilgte gierig seinen Fang, ehe die anderen es ihm streitig machen konnten. Wie ähnlich sie doch den Menschen waren. Am Ufer der Weser saß ein alter Mann und angelte, was von einigen Möwen, die in einer nahen Weide saßen, mit großem Interesse verfolgt wurde. Hin und wieder nahm er einen Stein und warf ihn in den Baum. Für einen Moment scheuchte er die neugierigen Vögel damit auf, doch kurz darauf ließen sie sich wieder dort nieder.
    Schon von Weitem sah Anna die gewaltige Stadtmauer, die nun teilweise aus dem neuen roten Backstein bestand, mit ihrem Wehrgang und den Türmen aufragen. Sie schlug den Weg zum Ostertor ein, bog kurz vorher von der eigentlichen Straße ab und beschritt einen Seitenpfad, der vorbei an mächtigen Eichen zu einem kleinen Haus führte. Zaghaft klopfte sie an die dicke Holztür, welche schnell geöffnet wurde. Das Haus war klein und bestand aus einer Wohnküche und einer kleinen Schlafkoje.
    »Anna, wie nett. Komm schnell aus der Kälte heraus! Ich mache uns gleich eine heiße Milch mit Honig«, begrüßte Mechthild sie erfreut und zog sie in die warme Stube. Sie war in ein braunes Gewand gekleidet, die Haare verdeckt, die Füße in dicke Wollsocken gesteckt.
    »Danke, das würde mir jetzt gut gefallen.« Wohlige Wärme sowie der Duft nach allerlei Kräutern wie Salbei, Myrrhe, Ringelblumen und Minze schlugen Anna entgegen. Sie liebte den Geruch nach Kräutern, gerade weil sie im Winter so selten waren. Schnell wand sie sich aus ihren dicken Sachen und zog die schweren Schuhe aus.
    In der Küche standen zahlreiche Tiegel, kleine Fläschchen und Tonkrüge. Pergamente lagen auf dem Bett, dem Boden, dem Tisch oder in den Regalen; manche hingen sogar an der Wand und zeigten faszinierende Bilder von Blüten, Pilzen oder Kräutern, die Mechthild selbst zeichnete. Von der Decke hingen getrocknete Kräuter an Bindfäden. Kleine Töpfe mit Pflanzen, die sonst draußen wuchsen, standen auf einem Brett vor dem Fenster. Mechthild musste bei Annas Ankunft mit Malen beschäftigt gewesen sein, denn auf dem Tisch lag ein feuchter Federkiel neben einer angefangenen Zeichnung, die eine Pflanze darstellte. Freundlich bot Mechthild Anna einen Platz an und begann, Milch auf dem Ofen zu erwärmen.
    »Wie geht es deiner Mutter? Ich hoffe, dein Besuch hat nichts mit ihrer überwundenen Krankheit zu tun?«
    »Nein, es geht ihr gut. Sie nimmt Vaters Tod jedoch sehr schwer.« Immer wieder hatte Anna beobachtet, wie ihre Mutter sich heimlich die Augen trocken tupfte, wenn sie meinte, keiner würde es sehen. Anna selbst litt ebenfalls, aber in den letzten Tagen war sie durch die Arbeit so abgelenkt gewesen, dass sie kaum Zeit gefunden hatte, ihren Vater zu betrauern. In diesem Moment jedoch wanderten ihre Gedanken zu ihm, und sofort schossen ihr die Tränen in die Augen.
    Mitfühlend trat Mechthild an sie heran und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ich bete jeden Abend für euch. Glaub mir, die Trauer wird irgendwann vergehen. Ich habe damals auch sehr gelitten, als mir mein Mann von der Pest genommen wurde.«
    Anna nickte dankbar, schluckte die Tränen hinunter und wischte sich mit dem Ärmel über ihre Augen.
    Mechthild ging wieder zum Herd und

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