Rolf Torring 104 - Zum Tode verurteilt
unter dem Sonnensegel. Da holte Rolf die Dokumente hervor, die er mitgebracht hatte, und breitete sie vor uns auf dem kleinen Tisch aus. Ein paar Schriftstücke behandelten das sagenhafte Zwergenvolk und waren von Labuta selbst geschrieben; er schilderte darin, wann und wo er die kleinen Menschen zuerst gesehen hatte.
Eines Tages habe er, hieß es da, tief im Innern Sumatras, etwa zweihundert Kilometer westlich von Palembang, einen kleinen Menschen — nicht größer als ein Kind — auf sich zukommen sehen. In Gang, Haltung und Gesichtsausdruck habe er völlig einem Erwachsenen geglichen. Er sei unbekleidet gewesen, habe eine helle, rosige Hautfarbe gehabt und langes Kopfhaar.
Der kleine Mensch sei gelassen auf ihn zugelaufen, bis er plötzlich in der Uferwand eines Baches verschwunden sei. Viele Tage lang habe er an der Stelle aufgepasst, bis es ihm schließlich gelang, wieder einen der Zwergenmenschen zu beobachten. Ein drittes Mal konnte er einen der Zwergenmenschen fangen, was ihm fast das Leben gekostet habe.
Der Zwergenmensch habe ein kleines Schleuderrohr besessen, mit dem er winzige vergiftete Pfeile abschießen konnte.
Labuta schrieb weiter, daß er die Sprache des Zwerges nicht habe verstehen können, sich mit ihm aber durch Zeichen verständigte. Der kleine Kerl habe um sein Leben gefleht und dafür etwas zum Geschenk angeboten. Labuta habe ihn laufen lassen und ihn zwei Tage später an der gleichen Stelle wieder erwartet. Er sei auch gekommen und habe einen großen Goldklumpen mitgebracht, den er kaum habe schleppen können. Zwischen Labuta und dem Zwerge habe sich nun ein regelrechter „Handelsverkehr" entwickelt. Dabei habe er, Labuta, erfahren, daß die Zwerge leidenschaftlich gern die Herzen der Tiere äßen. Oft habe er Herzen erlegten Wildes mitgebracht und dafür Gold erhalten.
Aus dem Bericht ging weiter hervor, daß Labuta allmählich habgierig geworden war und immer mehr Gold habe besitzen wollen. Die Zwerge versprachen ihm mehr Gold, wenn Labuta ihnen Menschenherzen bringen würde, am liebsten das Herz einer weißen Frau. Dafür sollte Labuta dann etwas ganz besonders Kostbares haben.
Labuta beging einen Mord. Er hatte sich das Mädchen durch seine Komplicen, denen er von den Schätzen der Zwerge erzählt hatte, kommen lassen und es auf der Insel ermordet. Die Leiche wurde nicht vergraben, sondern in den Urwaldgürtel gelegt, da Labuta annahm, daß wilde Tiere den Körper „beseitigen" würden.
Das Herz brachte er dem Zwerge, der ihm dafür eine Menge Gold gab. Er versprach Labuta einen faustgroßen Edelstein, wenn er ihm fünf Mädchenherzen bringe. Labuta wollte sich den Stein verdienen. Seine Habgier mußte bald in eine Art Wahnsinn übergegangen sein, denn er wäre auch vor Dutzenden von Morden nicht zurückgeschreckt.
Nicht ohne Erschütterung lasen wir Labutas Aufzeichnungen, den Bericht eines Mannes, der immerhin sehr gebildet war.
„Willst du tatsächlich versuchen, Rolf, das Zwergenvolk aufzuspüren?' fragte ich zum Schluss gespannt.
„Das steht bei mir schon lange fest, Hans. Ich nehme an, daß es uns dort auch gelingen wird, Labuta zu fangen oder sonst wie unschädlich zu machen."
„Wann willst du aufbrechen, Rolf. Für die zweihundert Kilometer brauchen wir mindestens fünf Tage."
„Morgen früh verlassen wir die Jacht. John schicken wir mit einem Brief zu Kommissar Rollow zurück; er wird es allein mit Li Tan schaffen. Ich sehe keinen anderen Ausweg, denn wir müssen uns beeilen, um Labuta möglichst zuvorzukommen."
„Willst du dem Kommissar unser Erlebnis schildern und ihn vor Tinna warnen?"
„Ja, Hans. Ich möchte außerdem, daß der Kommissar die Insel besetzen läßt, damit Labuta dort nicht wieder Fuß fassen kann. Auch die Krokodile müssen geschossen werden, es sind ja nur vier. Ich möchte weiter, daß der Kommissar hierher zurückkommt und uns mit John erwartet. Wenn es uns gelingt, Labuta zu fangen, will ich ihn hier Rollow übergeben und nicht noch einmal nach Palembang zurück."
Am nächsten Morgen brachen wir zeitig auf. In Pongo und Maha besaßen wir zwei glänzende Führer, die uns schon oft vor Gefahren beschützt hatten.
Rolf hatte John, dem Führer unserer Jacht, genau Bescheid gesagt und ihm einen Brief für Rollow ausgehändigt. Bevor wir unseren Marsch antraten, fuhr er schon los, so daß wir beruhigt den weiteren Erlebnissen entgegensehen
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