Rolf Torring 120 - Der grüne Käfer
Tal?"
Wir nannten unsere Namen, berichteten kurz, daß wir gehört hätten, daß hier eine weiße Göttin residiere, und angenommen hätten, es könnte sich um eine geraubte Europäerin handeln, die von den Mitgliedern einer Sekte gezwungen würde, Kultdienste zu verrichten.
Lächelnd erwiderte die weiße Frau:
„Fast verhält es sich so, wie Sie sagen. Man verehrt mich hier als Göttin, was mir mitunter gar nicht angenehm ist. Ich bin die Tochter des bekannten Forschers Hunter und suche hier nach meinem Vater, der vor zwei Jahren verschwand, als er eine Expedition unternahm die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den ,Rätselgott' zu finden. Mein Vater ist verschwunden. Bei meinen Nachforschungen geriet ich in ein altes Kloster, wo ich einige Monate als Gefangene behandelt wurde. Schließlich konnte ich durch einen Zufall entkommen; während der Zeit meiner Gefangenschaft aber fand ich von einer Kapelle im Klostergarten aus einen geheimen Gang zur Bibliothek des Klosters. Ich suchte Bücher, die über den ,Rätselgott' handelten, um auf die Spur meines Vaters zu kommen. Die Bücher, die ich suchte, fand ich und nahm sie mit, als ich floh. Aber sie sind chinesisch geschrieben, so daß ich sie nicht lesen kann. Im Gebirge wurde ich überfallen und hierher gebracht. Die Leute in diesem Tal verehren mich als weiße Göttin, hindern mich aber, das unzugängliche Tal zu verlassen. Wollen Sie mich etwa befreien?"
Rolf nickte.
„Machen Sie sich sofort reisefertig! Und nehmen Sie die Bücher über den ,Rätselgott' mit! Vielleicht verkleiden Sie sich als Chinese, um nicht erkannt zu werden."
Fräulein Hunter wollte antworten. In dem Augenblick entstand draußen großer Lärm. Wir hörten den Kampfruf Pongos und mehrere Schüsse aus der Höhe, die nur Professor Kennt abgegeben haben konnte.
Rolf und ich eilten sofort vor den Tempel, um nach der Ursache des Lärms zu sehen. In weiten Sprüngen kam Pongo herangestürzt. Schnell zogen wir ihn ins Innere des Tempels hinein. Von allen Seiten kamen rufende, aufschreiende Chinesen herbei.
Aufgeregt kam uns Fräulein Hunter entgegen.
„Beruhigen Sie das Volk!" rief ihr Rolf zu.
Fräulein Hunter zitterte, nahm sich aber sehr zusammen und trat vor den Tempel. Als sie erschien, verstummte der Lärm schlagartig. Sie sprach zu den Chinesen, die sich versammelt hatten. Der Teufel sei soeben erschienen (damit meinte sie Pongo!), von ihr aber gleich in die Hölle zurückgeschickt worden. Die Gläubigen sollten sich ruhig verhalten und in ihre Häuser zurückgehen, damit sie ungestört die heiligen Handlungen vornehmen könne. Die Räume, die durch das Betreten des Teufels entheiligt worden wären, müßten erst wieder geweiht werden. Dazu bedürfe es ihrer ganzen Konzentration.
Die Menge wußte nicht recht, was sie tun sollte. Man hatte gesehen, daß der schwarze Teufel von zwei Chinesen (damit waren wir gemeint) in den Tempel gezogen worden war.
Auf Fragen einiger Leute aus der Menge fand Fräulein Hunter auch dafür eine Erklärung und kam schließlich, am ganzen Leibe zitternd, zu uns zurück.
„Was nun?" fragte sie.
„Wir müssen die Nacht abwarten. Wenn es dunkel geworden ist, verlassen wir das Tal. Hoffentlich wird der Ausgang nicht bewacht!"
„Zwei Wächter stehen nachts dort," erwiderte die „Göttin".
„Mit zwei Chinesen werden wir fertig werden," stellte Rolf fest.
„Chinesen im Tunnel von mir gefesselt worden," berichtete Pongo. „Besser sofort fliehen!"
„Das ist fatal! Wir müssen uns alle als Chinesen verkleiden und einzeln den Tempel verlassen und durch das Tal bis zum Tunnelausgang schleichen. Pongo muß den Schlussmann machen."
Der Vorschlag fand meine Zustimmung. Fräulein Hunter ließ durch die ihr treu ergebene Dienerin chinesische Männerkleidung besorgen; das fiel ihr nicht schwer, da sie mehrere Brüder hatte.
Nachdem die kleine Chinesin zurückgekommen war, kleidete sich zunächst Fräulein Hunter um. Rolf mußte den Frisör spielen, da sie allein ihre blonden Locken nicht unter dem kegeligen Hut verstecken konnte. Mit Rolf zusammen verließ sie wenig später den Tempel, nachdem sie mir die Bücher übergeben hatte, die es mitzunehmen galt.
Die Menge hatte sich zerstreut und achtete nicht auf die beiden „Chinesen", die durch eine Seitentür den Tempel verließen.
Als ich sie mit den Augen nicht mehr
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