Rolf Torring 124 - Die Ratten von Peking
mir eine zweite Schlinge um den Hals, die mir den Atem benahm, so daß ich nicht schreien konnte. Ich wurde so rasch in die Höhe gezogen, daß ich nicht einmal mehr Professor Kennt, der sich im angrenzenden Zimmer aufhielt, verständigen konnte.
Als ich in Höhe des nächsten Stockwerkes war, fühlte ich einen dumpfen Schlag auf meinem Kopf, der nur mit einem Sandsack ausgeführt worden sein konnte.
Ich verlor sofort das Bewusstsein.
Als ich Stunden später erwachte, fühlte ich zunächst, daß ich gefesselt war. Um mich herum war es dunkel. Ich konnte mich nicht einmal auf die Seite wälzen, um zu sehen oder durch Heranwälzen zu fühlen, ob meine Gefährten in der Nähe waren.
Zunächst dachte ich daran, möglichst laut zu schreien, um Menschen, die sich in der Umgebung befinden konnten, auf mich aufmerksam zu machen. Aber ich konnte keinen Ton hervorbringen, denn in meinem Munde steckte ein Knebel.
Mehrere Stunden lag ich so, hilflos und grübelnd, was nun geschehen würde.
Endlich hörte ich leise Schritte, bemerkte einen schmalen Lichtstreifen am Erdboden und wußte, daß sich jemand an der Tür zu schaffen machte. Gleich darauf wurde es im Raum hell.
Ein alter Chinese, der eine Laterne in der linken Hand trug, betrat den Raum und leuchtete mich an. Im Laternenschein konnte ich erkennen, daß sich Margolo neben mir befand.
Der Alte teilte uns in gebrochenem Englisch mit, daß wir jetzt etwas zu essen bekommen würden, daß wir uns aber ganz still verhalten müßten, während er uns die Knebel aus dem Munde nehmen würde, sonst müßte er uns die Essenration entziehen.
Eine Hand wurde mir außerdem losgebunden, ebenso Margolo. Der Alte holte einen Korb mit Esswaren und forderte mich auf, möglichst rasch zu essen. Dabei fuchtelte er mir mit einer großen Pistole unter der Nase herum.
Ich hatte Hunger und ließ mich nicht zweimal nötigen, sondern langte kräftig zu. Auch Margolo aß wie jemand, der lange nichts in den Magen bekommen hat.
Als die Mahlzeit beendet war, wurden wir wieder gefesselt und geknebelt. Dann aber überlegte sich der Alte anscheinend etwas und entfernte zu meiner Freude die Knebel wieder. Er drohte uns jedoch mit Essensentzug, wenn wir Lärm schlagen würden.
Bald lagen wir wieder im Dunkeln, konnten uns aber jetzt wenigstens leise unterhalten. Margolo erzählte mir, daß er während des Schlafes überfallen worden sei. Aus Vorsicht habe er sich mit den Sachen ins Bett gelegt, aber gar nicht einschlafen wollen. Er sei jedoch so müde gewesen, daß er den Schlaf nicht mehr habe bannen können. Jetzt bereute er, nicht auf unseren Rat, die Tür offen zu lassen, gehört zu haben.
Wir hofften, daß unsere Gefährten noch in Freiheit seien und uns bald hier herausholen würden.
Nach einer Weile fragte der junge Margolo:
»Haben Sie schon eine Ahnung, wer der Führer der ,Ratten' sein könnte, Herr Warren?"
„Mein Freund hat den Großkaufmann Lu Mahong im Verdacht," antwortete ich.
„Natürlich! Das muß er sein. Ich bin ihm mit meinem Vater schon mehrmals begegnet. Immer trug er eine schwarze Gesichtsmaske. Aber der Haltung und Statur nach könnte, müßte er es sein!"
„Lu Mahong scheint mir aber dicker zu sein als der Mann mit der Maske," meinte ich.
„Die dicke Kleidung der reichen Chinesen trägt viel dazu bei, einen Menschen stärker erscheinen zu lassen, als er in Wirklichkeit ist," sagte Margolo. „Ich bin überzeugt, daß er es ist. Auch die Stimmenähnlichkeit, ja, die Gleichheit der Stimme! Jetzt geht mir ein Licht auf. Er saß beim Abendessen mir gegenüber, nachdem er an meinem Tische vorbeigegangen war. Nur er kann den kleinen vergifteten Bolzen auf mich geworfen haben, der sich dann so verhängnisvoll auswirkte."
„Was wollen Sie mit ihm tun, Margolo, wenn Sie wieder frei sind?"
„Ihm in ehrlichem Kampf gegenübertreten," kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
Margolo hatte sich also schon reiflich Gedanken darüber gemacht. Das war nur zu verständlich.
Eine Zeitlang war es still zwischen uns, dann nahm ich das Gespräch wieder auf.
„Wenn wir hier nicht am Boden festgebunden wären, würde ich mich zu Ihnen wälzen und versuchen, Ihre Fesseln zu lösen, Margolo."
Wieder hörte ich draußen Schritte. Diesmal kamen mehrere Männer. Die Tür wurde geöffnet. Zwei starke Chinesen erschienen und
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