Rolf Torring 124 - Die Ratten von Peking
die Zukunft entscheiden. Bei den Chinesen scheint es, wenn nicht alles trügt, so zu werden, daß mit zunehmender Zivilisation eine Unzufriedenheit mit den bestehenden Lebensverhältnissen einsetzt, die sich eines Tages in politischen Konflikten im Innern des Landes auswirkt und sogar in die ganze Außenpolitik eingreifen kann. Verstehen Sie mich richtig: eine hohe Kultur hat das chinesische Volk seit Jahrtausenden gehabt, die Lebensverhältnisse aber blieben bescheiden, die Menschen waren genügsam — erst jetzt beginnt mit dem Einbruch — ja, es ist ein Einbruch — der europäisch gefärbten Zivilisation, mit dem Einfluss, den die moderne Technik auch auf das Leben dieses genügsamen Volkes auszuüben beginnt, die Revolution von innen her."
„Außer dem elektrischen Licht für den größten Teil der Stadt," folgerte Rolf, „werden auch noch andere Errungenschaften der modernen Technik in Peking Einzug gehalten haben und dazu beitragen, die Entwicklung, die sie als möglich oder sogar notwendig andeuten, zu beschleunigen."
Der Professor nickte:
„Selbstverständlich! Das elektrische Licht zog die elektrischen Straßenbahnen nach sich, bewirkte, daß die Lokale ihre Öffnungszeiten weiter in die Nacht hinein ausdehnten, daß die alte chinesische Romantik allmählich zu verschwinden beginnt. Schon sind Hotels im amerikanischen Stile gebaut und eingerichtet worden, in denen nicht nur Weiße absteigen. Immer schon hat es auch reiche Chinesen gegeben, aber sie hielten im Lebensstandard am Chinesischen fest, jetzt beginnen sich die strengen Regeln des Lebens zu lockern. Mit dem Amerikanismus zieht in Peking allmählich oder sehr schnell — was sind im Leben der Menschheit und der Geschichte schon zehn oder zwanzig Jahre? — das ,neue Tempo' ein, wie ich es nennen möchte, die Hetzjagd, die den Alltag des Weißen in den hochzivilisierten Ländern kennzeichnet.
Sehr schnell sind in Peking ganze Straßenzüge mit den kleinen chinesischen Bauten aus Holz verschwunden und haben massiven Häusern Platz gemacht. Das wirkt sich auf das Leben jedes einzelnen wie eines ganzen Volkes aus.
Aber ich will Ihnen kein allzu wissenschaftliches Kolleg halten! Ich werde Ihnen Peking zeigen. Sehen Sie es sich selbst an, sehen Sie nicht nur die Fassade, blicken Sie durch sie hindurch und schauen Sie sich auch das an, was dahinter steht.
Aber erst müssen Sie sich einmal einen Überblick über die Anlage der Stadt verschaffen. Ich werde Sie auf den 'Künstlichen Berg', auf Kung Schan, führen, der etwa vierzig Meter hoch ist. Von dort aus werde ich Ihnen die Stadt zunächst einmal zeigen."
„Wo werden wir wohnen können, Herr Professor?" fragte Rolf.
„Ich würde Ihnen das ,Astor-Hotel' vorschlagen, meine Herren. Es wird zwar von einem Chinesen geleitet, aber fast ausschließlich von Weißen bewohnt. Man hat dort schon einigen Komfort, und es ist nicht unverschämt teuer. Nach chinesischen Begriffen wohnen wir dort sehr vornehm."
„Hoffentlich erregen Pongo und Maha kein Aufsehen," sagte Rolf.
„Das werden sie selbstverständlich," erwiderte der Professor sofort, „aber das läßt sich nun mal nicht ändern. Sie wollen sich doch von keinem von beiden trennen, zumal Sie ja etwas länger von der Jacht fortbleiben wollen. Wie Sie mir andeuteten, gedenken Sie ja nach dem Besuch Pekings Kirin einen Besuch abzustatten, und wollen anschließend noch zum Amur-Fluß."
Rolf blickte den Professor mit einem sonderbaren Lächeln an:
„Wir haben auf unseren Kreuz- und Querfahrten durch die verschiedensten Erdteile gelernt, Herr Professor, daß sich ein Erlebnis sozusagen immer aus dem andern entwickelt. Es ist nicht so, daß man sich auf die Eisenbahn setzt, in eine andere Stadt fährt, und mit einem Schlage ist das ganze Leben anders und neu. Anders — ja! Aber was man erlebt hat, schleppt man wie eine Last mit sich, es begleitet einen wie ein Schatten, der unzertrennlich mit einem verbunden ist. Man wird auch Menschen nicht so schnell los!"
Jetzt war es an Professor Kennt, ein Lächeln aufzusetzen:
„Sie denken an Margolo junior, den Sohn des 'Fürsten der Berge', der im letzten Grunde doch nichts anderes ist als der Chef einer glänzend organisierten Räuberbande."
„Sie haben recht und auch wieder nicht recht, Herr Professor," äußerte ich meine Ansicht. „Natürlich führt die Gesellschaft, die Margolo, der 'Fürst der Berge'
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