Rollende Steine
und schritt anschließend durch einen Flur mit mehreren Türen,
die sich vermutlich nie öffnen ließen – Türen und Türrahmen schienen
fest miteinander verbunden zu sein. Wahrscheinlich verfügte Tod auch
über ein Schlafzimmer, obwohl er sicher nicht schlief. Vielleicht lag er
dort im Bett und las.
Susanne probierte verschiedene Knäufe aus, bis sie einen fand, der sich
drehen ließ.
Tod hatte tatsächlich ein Schlafzimmer.
Die meisten Einzelheiten stimmten. Immerhin bekam er immer wieder
Gelegenheit, Schlafzimmer zu besuchen. In der Mitte des unbestimmbar
großen Raums stand ein breites Himmelbett. Als Susanne es berührte,
stellte sie fest, das die Laken steinhart waren.
Ein großer Spiegel hing an der Wand, daneben stand ein Kleider-
schrank. Das Mädchen warf einen Blick hinein, sah jedoch keine Mor-
genmäntel oder etwas in der Art, sondern ganz unten* nur ein paar alte
Schuhe.
Auf der Frisierkommode stand ein Wasserkrug neben dem Waschbek-
ken, beides war mit Totenschädeln und Omega-Zeichen geschmückt.
Hinzu kamen mehrere Fläschchen und andere Dinge.
* In jedem Kleiderschrank stehen Schuhe im untersten Fach. Sie ließen sich
sogar im Kleiderschrank einer Nixe finden.
Susanne nahm sie nacheinander in die Hand. Rasierwasser. Pomade.
Mundwasser. Eine silberne und eine schwarze Haarbürste.
Al es war ziemlich traurig. Tod hatte wohl eine recht klare Vorstel ung
davon, was auf der Frisierkommode eines Herrn liegen sol te. Doch den
einen oder anderen wichtigen Aspekt hatte er nicht berücksichtigt.
Schließlich entdeckte Susanne eine kleinere, schmalere Treppe.
»Albert?«
Oben war eine Tür. »Albert? Hört mich jemand?«
Niemand kann mir vorwerfen, daß ich einfach so hereinplatze, wenn
ich vorher frage, dachte sie und öffnete die Tür. Dahinter erstreckte sich
ein kleiner Raum. Ein wirklich kleiner Raum. Er enthielt einige für ein Schlafzimmer typische Einrichtungsgegenstände sowie ein schmales Bett.
In einem kleinen Bücherschrank standen einige kleine und uninteressant
wirkende Bücher. Auf dem Boden lag ein alter Zettel. Susanne hob ihn
auf und sah mehrere Zahlen, nur die letzte davon nicht durchgestrichen:
19.
Eines der Bücher trug den Titel: Gartenarbeit unter schwierigen Bedingungen.
Susanne kehrte ins Erdgeschoß zurück. Sie wußte jetzt, daß sich nie-
mand im Haus befand, denn al es fühlte sich tot an.
Im Garten stel te sich das gleiche Gefühl ein. Tod konnte die meisten
Dinge nachbilden, bis auf diejenigen, für die Klempner zuständig waren.
Und natürlich konnte er kein Leben schaffen. Das mußte hinzugefügt
werden wie die Hefe dem Brot. Ohne diese Zutaten war al es wundervol
ordentlich – und langweilig, langweilig, langweilig. So mußte es am An-
fang gewesen sein, dachte Susanne. Und dann, eines Tages, adoptierte er
meine Mutter. Weil er neugierig war.
Sie folgte dem Verlauf des Weges durch den Obstgarten.
Und als ich geboren wurde… Meine Eltern fürchteten so sehr, daß ich
mich hier zu Hause fühle, daß sie mich als… Susanne aufwachsen ließen.
Ist das etwa ein angemessener Name für Tods Enkelin? Nein, Tods En-
kelin sol te hohe Wangenknochen haben, glattes Haar und einem Na-
men, der viele Konsonanten wie V und X enthält.
Susanne drehte den Kopf und sah das Etwas, das er für sie gebaut hat-
te. Ganz al ein. Nur mit dem Wissen um gewisse Prinzipien.
Eine Schaukel. Eine einfache Schaukel.
In der Wüste zwischen Klatsch und Herscheba war es bereits brütend
heiß.
Die Luft flimmerte, und dann machte es Plop. Albert erschien auf einer Düne. Am Horizont zeigte sich ein aus Tonziegeln errichtetes Fort.
»Die klatschianische Fremdenlegion«, murmelte er, als das Unvermeid-
liche geschah: Sand kroch ihm in die Stiefel.
Albert stapfte in Richtung der Bastion. Der Rattentod saß auf seiner
Schulter.
Er klopfte ans Tor, in dem einige Pfeile steckten. Nach einer Weile
öffnete sich eine kleine Klappe.
»Was wünschst du, Offendi?« fragte jemand.
Albert hob eine Karte.
»Hast du jemanden gesehen, der nicht so aussieht?« erkundigte er sich.
Stille.
»Na schön, laß es mich anders ausdrücken.« Albert überlegte kurz.
»Kennst du einen geheimnisvollen Fremden, der nicht über seine Ver-
gangenheit spricht?«
»Dies ist die klatschianische Fremdenlegion, Offendi. Hier reden die
Leute nicht über ihre Vergangenheit. Sie werden zu Legionären, weil
sie… weil sie…«
Das Schweigen dehnte sich, und
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