Rollende Steine
Freunde zu haben.
hatte, war al es ganz einfach. Die Schülerinnen mußten eine Karte mit
viel Grün kolorieren. Zum Mittagessen gab es Händelkraut und Vit-
aminpudding, genau die richtige Nahrung für den Nachmittag, der im
Zeichen des Sports stand.
Dafür war die Eiserne Lily zuständig. Man sagt ihr nach, daß sie sich
rasierte und Gewichte mit den Zähnen hob. Oft stand sie an der Seiten-
linie und feuerte die Spielerinnen an mit Rufen wie: »Ran an den Ball, ihr
schlaffen Tanten!«
An diesen Nachmittagen hielten Frau Anstand und Frau Delokus die
Fenster ihrer Arbeitszimmer geschlossen. Frau Anstand vertiefte sich in
Fachbücher über Logik, während Frau Delokus in ihrer Vorstellung von
einer Toga die Turnhal e aufsuchte, um dort Eurhythmieübungen zu
absolvieren.
Susanne überraschte immer wieder mit ihren hervorragenden sportli-
chen Leistungen. Sie war gut in den Sportarten, bei denen man mit ei-
nem Stück Holz ausholen mußte, zum Beispiel Hockey, Lacrosse und
Schlagbal . Wenn sich Susanne mit einem Schläger in der Hand dem Tor
näherte, verlor das Tormädchen jedes Vertrauen in seine Schutzkleidung
und warf sich zu Boden, während der Bal in Hüfthöhe übers Spielfeld
sauste und dabei leise summte.
Einen Beweis für die allgemeine Dummheit der Menschheit sah Su-
sanne darin, daß sie zwar zu den besten Spielerinnen des Internats gehör-
te, jedoch nie in Mannschaften gewählt wurde. Man zog ihr selbst dicke
Mädchen mit Pickeln vor. Sie hielt das für geradezu unerträglich irratio-
nal und verstand einfach nicht den Grund dafür.
Sie hatte die anderen Schülerinnen in aller Deutlichkeit auf ihr sportli-
ches Geschick hingewiesen und betont, wie töricht es sei, sie nicht auszuwählen. Seltsamerweise blieben die Appel e ohne jede Wirkung.
An diesem Nachmittag entschloß sie sich zu einem offiziellen Spazier-
gang; eine akzeptable Alternative, vorausgesetzt, man blieb dabei nicht
al ein. Für gewöhnlich gingen die Mädchen in die Stadt, um durch die
Dreirosenstraße zu schlendern und in einem nicht sehr angenehm rie-
chenden Laden Fisch mit Pommes frites zu kaufen. Frau Anstand nann-
te Gebratenes ungesund, deshalb nutzten die Schülerinnen jede Gele-
genheit, es zu probieren.
»Offizielle Spaziergängerinnen« mußten mindestens zu dritt sein. Frau
Anstand glaubte fest daran, daß keiner Gruppe, die aus mehr als zwei
Personen bestand, Gefahren zustießen.
Eine Gruppe, der Prinzessin Jade und Gloria Felshauertochter ange-
hörten, brauchte ohnehin nicht zu fürchten, in Gefahr zu geraten.
Die beiden Rektorinnen des Internats hatten zunächst gezögert, ein
Troll-Mädchen aufzunehmen. Doch Jades Vater war der König eines
ganzen Bergs, und es machte sich immer gut, wenn man darauf hinwei-
sen konnte, daß auch eine Prinzessin zu den Schülerinnen gehörte. Bei
einem Gespräch mit Frau Delokus hatte Frau Anstand außerdem betont,
es sei die Pflicht des Internats, Hilfestel ung zu geben, wenn solche Leute Bereitschaft zeigten, richtige Leute zu werden. »Und der König ist eigentlich sehr nett und versicherte mir, er könne sich gar nicht mehr erinnern, wann er zum letztenmal einen Menschen verspeist hat.« So lauteten Frau
Anstands Worte.
Jade sah nicht besonders gut und hatte ein Entschuldigungsschreiben
gegen zuviel Sonnenschein. Beim Werken fand sie Gefal en daran, Ket-
tenhemden zu stricken.
Gloria wurde vom Sportunterricht befreit, weil sie dazu tendierte, ihre
Axt bedrohlich zu schwingen. Frau Anstand meinte, solche Gegenstände
seien keine Waffen für Damen, nicht einmal für eine Zwergin, aber Gloria widersprach. Die Axt stammte von ihrer Großmutter, die sie ihr ganzes
Leben lang gehütet und jeden Samstag geputzt hatte, selbst dann, wenn
sie während der Woche nicht benutzt worden war.
Gloria hielt das Erbstück auf eine Weise, die Frau Anstand veranlaßte,
in diesem besonderen Fal nachzugeben. Um guten Willen zu beweisen,
verzichtete die Zwergin darauf, ihren Eisenhelm zu tragen. Zwar rasierte
sie sich nicht – es gab keine Vorschriften, die dreißig Zentimeter lange
Bärte bei Mädchen verboten –, aber sie flocht ihren Bart zu Zöpfen und band bunte Bänder in den Farben des Internats hinein.
In der Gesel schaft von Jade und Gloria fühlte sich Susanne seltsam
wohl, was ihr ein erstauntes Lob von Frau Anstand einbrachte. Sie sei
ein echter Kumpel. Susanne war sehr überrascht gewesen. Bisher hatte
sie nicht gewußt, daß Frau
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